: Ooooooooooiiiiiiiiiiiih, Rudi!
■ Sportkommentator Rudi Michel vertrat würdig den totalen Tonausfall
Sehr geehrter Herr Kürten, lieber Wolfram Esser (von den Herren Wark, Wontorra, Töpperwien ganz zu schweigen), wir haben Ihnen öffentlich rechtlich Abbitte zu tun. Seit Mittwoch wissen wir, was wir an Ihnen gehabt haben. Was die terrestrische Vereinigung des journalistischen Aussteigers Rudi Michel - unterbrochen nur von einigen vergleichsweise sprachakrobatischen Empfehlungen für Lila Pausen, Bosch -Fuchs-Schwänze und Metylan-Tapetenkleister - 3,5 Millionen PrivatfernseherInnen zumutete, war der Frontalangriff einer auto-gnomen Kommentatoren-Zelle auf das Sprachrepertoire jedes mittleren Fußball-Stammtischs.
Rudi Michels Werder-Mailand-Kommentar verhielt sich zum sprachlichen Ingenium eines Wolfram Esser ungefähr wie die die Sprachgewalt unseres Bundeskanzlers zur rhetorischen Ballportbegeisterung eines Walter Jens. Selbst der begnadetste Stammler des deutschen Fußballs, Hans Tilkowski, rehabilitierte sich dank Rudi Michel als wahrer Demosthenes des Sports.
Ganze 40 Minuten lang reichte Michels minutiöse Kommentatoren-Präparation zur Bildung solch erhellend schlichter, aber noch vollständiger Hauptsätze wie „Der Linienrichter winkt mir immer ein bißchen früh“.
Oder solch aufmunternder Appelle wie „Jetzt geh, Junge! “ und „Paßt mal 'nen bißchen auf!, Sportfreunde!“. Kurz vor der Halbzeitpause begann der Sprachökonom Michels, endgültig auf überflüssige Prädikate zu verzichten und dem Informationsgehalt seiner sparsam eingestreuten Lautgaben einen seltsamem Schwebezustand zu verleihen: „Kutzop, immer wieder Kutzop. Oder? Doch nicht?“ - jedenfalls solange der Wahrheitsgehalt von Michels Erkenntnissen nicht durch eingeblendete Uhren und Schriftinserts zweifelsfrei belegt war. Als die SAT-1-Regie minutenlang Mailands Trainer formatfüllend ins Bild setzte, eine Einblendung schließlich Amt und Namen des Portraitierten verriet, kommentierte Redundanz-Meister Michels schließlich zutreffend: „Das ist Sacchi“.
Erst zum Anpfiff der zweiten Halbzeit verriet Michels schließlich das bislang gehütete Geheimnis seines Kommentars: „Wir bemühen uns, Sie jetzt mit dem Spiel wieder allein zu lassen“, fügt dann aber doch auf folgende, zum Verständnis des Spielverlaufs unabdingbare Bemerkung hinzu: „Daß es hier aus Kübeln runterschüttet, muß ich Ihnen nicht sagen. Ich erwähne es deshalb nur noch einmal.„
Nach 60 Minuten hat Michel schließlich die vielleicht endgültige und einzige Form eines nationalitäten-und sprachbarrieren-überwindenden Fußball-Kommentars gefunden. Vom schlichten Hauptsatz über die stilisierte Ellipse geht Michels zum sprachlichen Urlaut über.
Den Fernsehlautsprechern entringen sich offenkundig Michels unverbrauchtem Atemvolumen geschuldete „Ouuuhs“, „Auuh's“ und „Oiiihs“ -je nach Intonation unschwer zu deuten als „Höchstgefahr im Werder-Strafraum“, „mißglückter Paß von Norbert Meier“ oder „böses Foul von Rijkaard“.
Oiiiih, Rudi!
Klaus Schloesser
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