: Der historische Heidegger
■ Martin Heidegger in den Büchern von Victor Farias, Jean-Francois Lyotard und Hugo Ott
Martina Kirfel
Der erste Rektor der gleichgeschalteten Freiburger Universität rief in seiner Antrittsrede die deutschen Studenten zum „Arbeitsdienst“, „Wehrdienst“ und „Wissensdienst“ auf. Unter „Wehrdienst“ verstand der Rektor die „Bereitschaft zum Einsatz bis ins Letzte“, die Wissenschaft stellte er als „Wissensdienst“ in „den höchsten Dienst am Volke“, in den Dienst des Nationalsozialismus. Die Reihen seiner Studenten waren schon 1933 weitgehend von Juden, Kommunisten und Sozialisten „gesäubert“. „Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz“, teilte der Philosoph und Rektor wenig später seinen Studenten als die Essenz seiner Erkenntnisse mit. Er denunzierte Kollegen und stellte sich schützend vor Studenten, die jüdische Kommilitonen verfolgten. Der Rektor hieß Martin Heidegger.
Der Philosophenstreit um Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus ist in ein ruhigeres Stadium eingetreten. Die einen haben nachgeben müssen, die anderen sich durchgesetzt. Klar ist jetzt, daß Heidegger ein Nazi war, ein Nazi nicht nur während einer kurzen Lebensphase, des Freiburger Rektorats von 1933/34 etwa, sondern ein von den Ideen der „Bewegung“ überzeugter Nazi bis zum Ende seines Lebens. Diese wenn auch nur vordergründige Einigung ist großenteils zwei Veröffentlichungen zu verdanken: dem bereits 1987 in französischer Sprache erschienen Buch des Heidegger-Schülers Victor Farias und der Arbeit des Freiburger Historikers Hugo Ott. Beide Bücher sind vor kurzem auf den deutschsprachigen Markt gekommen, zusammen mit einem philosophischen Essay von Jean-Francois Lyotard. Drei Bücher - drei Annäherungsversuche an den „Fall Heidegger“. Denker in dürftiger Zeit
Farias‘ in mehrjähriger Arbeit zusammengetragene Materialsammlung ist eine Auswertung öffentlich zugänglicher Archivbestände und vorausgegangener Untersuchungen über Heidegger und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus. Die Grundthese des in Berlin lehrenden Germanisten und Philosophen: Heideggers gesamte Denkweise stehe in einer autoritären, antisemitischen, ultranationalen Tradition. Bereits vor dem Rektorat habe er „im Sinne des Nationalsozialismus agiert“.
Farias führt uns den Oberprimaner Heidegger vor, der in Meßkirch bei Freiburg eine Lobrede auf den wortgewaltigen Antisemiten Abraham a Santa Clara hält. Die begeisterten Zuhörer fordert er auf, den 'Gral‘ zu abonnieren, ein ultrakonservatives, katholisches Blatt. Ziel der Zeitschrift und des dazugehörigen „Gralbundes“, dem Heidegger angehörte: Verherrlichung des Deutschtums und Kampf gegen die Moderne. In diesem stark von christlichem Antisemitismus geprägten Milieu entwickelte sich der Klerikalfaschismus süddeutsch -österreichischer Prägung, der den „großdeutschen Gedanken“ mit der Idee des Katholizismus verwob. In diesem Milieu bewegte sich der junge Heidegger. Seine Vorliebe für den Judenhasser a Santa Clara und dessen vierbändiges Hauptwerk „Judas der Erzschelm“ hat er sich Zeit seines Lebens bewahrt, wie Farias nachweist. Der alte Martin Heidegger hielt 1964 in Meßkirch abermals einen Vortrag, eine Lobrede auf Abraham a Santa Clara, „einen Lehrer für unser Leben“. In strenger Chronologie baut Farias die Biographie Heideggers anhand von Dokumenten auf. Seinen Anspruch, Heideggers nationalsozialistische Überzeugung bis an sein Lebensende nachzuweisen, hat Farias eingelöst.
Daß diese politische Überzeugung Heideggers philosophisches Denken beeinflußte, zeigt er an wichtigen Indizien. Hier stieß er auf den größten Widerstand der Heidegger-Gemeinde, die Werk und Leben vollkommen voneinander zu trennen versuchte. Eine systematische Analyse der Struktur des Zusammenhangs von Leben und Werk leistete Farias allerdings nicht. Farias hatte mit seiner Publikation zunächst nach Frankreich ausweichen müssen, deutsche Verlage interessierten sich offenbar nicht für sie. Dort erhob sich auch bei seinem Erscheinen das erste Wutgeheul französischer Heideggerianer und postmoderner Philosophen. Sein Echo gab diesseits des Rheins Anlaß zu einer neuerlichen Überprüfung des „Denkers in dürftiger Zeit“.
Prinzipell unbekannt war nichts von dem, was Farias erneut ans Tageslicht brachte. Ende 1946 war Heidegger mit Lehrverbot und Ausschluß aus der Universität belegt worden. Karl Jaspers urteilte damals in einem Gutachten: Heideggers Denkungsart sei „ihrem Wesen nach unfrei, diktatorisch und kommunikationslos“. In den letzten dreißig Jahren hatte es zahlreiche Arbeiten zum „Fall Heidegger“ gegeben, auf die Farias sich beruft: Diejenige Karl Löwiths von 1953 etwa und diejenige des Schweizers Guido Schneeberger von 1962, die wegen ihrer Brisanz von Heidegger-Getreuen aus den Regalen entfernt worden sein soll. Auch Hugo Ott hat seit 1983 eine Reihe von Aufsätzen herausgebracht, nicht zu vergessen die kritischen Beiträge von Jaspers, Adorno, Habermas, Marcuse u.a. Doch erst mit dem publizistischen Knall, den Farias Buch in Paris auslöste, wurde Heideggers nationalsozialistische Vergangenheit Thema eines „Philosophenstreits“. Außerhalb des Logos?
Detail- und Übersetzungsfehler hatten Anhängern der Pariser Heidegger-Gemeinde als ausreichendes Indiz gegolten, Farias Arbeit pure „Böswilligkeit“ (Aubenque) zu unterstellen und sie in Bausch und Bogen zu verdammen. Auch der verbesserten, mit ausführlichen Quellennachweisen versehenen deutschen Ausgabe wird „Einseitigkeit und Monokausalismus“ ('Die Zeit‘), ja sogar „intellektuelle Unredlichkeit“ ('FAZ‘) vorgeworfen. Es sieht aus als hätte sich Jürgen Habermas in seinem Vorwort zu Farias‘ Buch vergeblich eine zweite Diskussionsrunde gewünscht, die frei von „beschönigender Apologie, von durchsichtiger Ideologieplanung oder gar ausgeflippter Rancüne“ sein sollte.
Habermas‘ Vorwort zur deutschen Ausgabe (vgl. taz vom 7.1.1989) ist eine philosophisch-kritische Ausarbeitung des Zusammenhangs von Leben und Werk bei Martin Heidegger. Habermas insistiert zunächst auf der „Autonomie des Gedankens und erst recht seiner Wirkungsgeschichte“. Heideggers Werk habe sich längst von seiner Person gelöst. Dennoch bedürfe es einer „kritischen, ja argwöhnischen“ Aneignung jeder Überlieferung, die für das NS-Regime blind gemacht habe. Die „Kehre“ liegt für Habermas nach 1927, als Heidegger seinen Begriff vom „Dasein“ neu entwirft. Das kritische Moment, das in „Sein und Zeit“ noch enthalten gewesen sei, werde jetzt liquidiert, „Dasein“ nicht mehr individuell, sondern als kollektives Schicksal verstanden. Heidegger begibt sich auf einen Holzweg, den Habermas „Abstraktion durch Verwesentlichung“ nennt. Diese Form des Abgehobenseins von der Realität verleitet Heidegger zu einer totalen Nivellierung und verbaut ihm den Weg zur realen Geschichtlichkeit. Sein methodischer Solipsismus hindere ihn daran, den Sinn moralischer Verpflichtungen ernst zu nehmen. Habermas zitiert - als Beleg - aus einem Brief, den Marcuse im Mai 1948 an Heidegger richtete: „Sie schreiben, daß alles, was ich über die Ausrottung von Juden gesagt habe, genauso für die Alliierten gilt, wenn statt 'Juden‘ 'Ostdeutsche‘ steht. Stehen Sie nicht mit diesem Satz außerhalb der Dimension, in der überhaupt noch ein Gespräch zwischen Menschen möglich ist - außerhalb des Logos?“, fragte Marcuse damals den Denker, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Mit der Verharmlosung und Nivellierung des Holocaust nahm Heidegger kurz nach dem Krieg bereits die Position vorweg, die 1986 den „Historikerstreit“ auslösen sollte. Wer groß denkt, muß groß irren
Anders als Farias, der sich als Biograph und Philosoph versteht, hat Hugo Ott mit seinem Buch „Heidegger Unterwegs zu seiner Biographie“ eine vor allem historische Untersuchung vorgenommen. Sie liefert neues, ausführliches Belegmaterial für Heideggers Verstrickung in die Politik des Nationalsozialismus. Der Freiburger Historiker zeichnet in distanzierter Sprache das Bild eines zunächst aktiven und später resignierten Nazi, das Bild eines intriganten Kleinkrämers und kleingeistigen Karrieristen, das manchem Verfechter des großen Denkers zu denken geben wird. „Wer groß denkt, muß groß irren“ lautet ein Diktum Heideggers. Doch Heidegger fehlt jede Größe. Ott weist Schritt für Schritt nach, wie Heidegger - von einem kleinen Kader nationalsozialistischer Professoren gegen einen demokratischen Kandidaten durchgeboxt - als Freiburger Rektor die Gleichschaltung der deutschen Universitäten vorantrieb. Sich selbst sah Heidegger auf dem Weg, „auch der eindeutige und unbestrittene Führer der deutschen Rektoren (zu) werden - also der Führer des geistigen Deutschland“ (Ott).
Ein Schwerpunkt, den Ott weitaus detaillierter als Farias ausgearbeitet hat, ist die Dokumentation der Denunziationen des Denkers. Den späteren Nobelpreisträger Hermann Staudinger zeigte er wegen „undeutschen Verhaltens“ beim Karlsruher Ministerium an. „Undeutsch“ war in den Augen des Rektors die Kritik Staudingers am Giftgaseinsatz im Ersten Weltkrieg. Das Ministerium schaltete die Gestapo ein. Denunziert hat Heidegger ebenfalls den Philosophen Max Müller, öffentlich prangerte er den katholischen Publizisten Theodor Haecker an. Seinen Lehrer Edmund Husserl hat er von 1933 an gemieden, die Widmung an Husserl aus „Sein und Zeit“ gestrichen, weil Husserl Jude war.
Führer aller Rektoren ist Heidegger nie geworden. Bereits 1934 trat er freiwillig aus seinem Rektorat zurück. Nicht jedoch, weil er sich mit den Verbrechen der Nazis nicht mehr identifizieren konnte, sondern weil in seinen Augen die „ursprüngliche Wahrheit der Bewegung“ verraten wurde. Von jetzt an konzentrierte er sich wieder darauf, der Idee der „wahren Bewegung“ als Philosoph zum Durchbruch zu verhelfen. Parteimitglied ist er bis 1945 geblieben, weist Ott nach. Noch in den sechziger Jahren war er von der „Größe und inneren Wahrheit der Bewegung“ überzeugt ('Spiegel' -Interview). Über Farias Materialien hinaus geht auch Otts detaillierte Darstellung des Zeitraums nach 1945. Trocken entlarvt der Historiker einen Großteil der Selbstdarstellung Heideggers nach dem Krieg als Lügenbilde, seinen Satz: „Ich rechne mir den in den letzten elf Jahren geleisteten Widerstand zu keinem besonderen Verdienst an“, als pure Unwahrheit.
Folgerichtig drängt sich dem „seriösen“ ('FAZ‘) Historiker Ott im Verlauf seiner Arbeit der Zusammenhang zwischen Denken und Handeln bei Heidegger auf. Ott weist historisch nach, daß Heidegger selbst offen zugab, was seine Jünger bis heute abstreiten: Der Heidegger-Schüler Karl Löwith hat seinen Lehrer 1936 in Rom bei einem Hölderlin-Kongress getroffen. Das Parteiabzeichen am Aufschlag, hat Heidegger Löwith 1936 versichert, „sein Begriff der Geschichtlichkeit (sei) die Grundlage für seinen politischen Einsatz“. Ott folgert: Heideggers Philosophie steht also im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. „Unhistorisch“ ('FAZ‘) sei dieser Schluß, wird ihm prompt vorgeworfen. Der gerade zitierte Heidegger-Satz sei kein Beweis dafür, daß Heideggers Philosophie mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang stehe. Denn: „Der Nationalsozialismus ist 1936 noch nicht zur vollen Entfaltung seiner mörderischen Energie gelangt.“ ('FAZ‘) Eine Argumentation, die nicht überzeugt. Jedem denkenden Menschen mußte 1936 die „mörderische Energie“ des Nationalsozialismus klar sein. Nicht postmodern genug
Debatten um Heidegger hat es auch in Frankreich seit den fünfziger Jahren gegeben. Sie entsprachen hier wie dort den verschiedenen Stadien der Verdrängung. Hier die Adenauer -Ära, die den Mythos einer stattgefundenen „Entnazifizierung“ aufrechterhielt - längst lehrte Heidegger wieder und webte an der Legende seines „Widerstands“ - dort der Gaullismus mit der Weigerung, die Vichy-Zeit aufzuarbeiten. Allerdings verfügten Frankreichs frühe Heideggerianer über einen wunderbaren Persilschein. Sie konnten sich darauf berufen, daß Heideggers Philosophie von den Kämpfern der „Resistance“ importiert worden war. Wie konnte sie da nationalsozialistisch sein? Dieses Argument verlor viel von seiner Überzeugungskraft, als sich vor einiger Zeit herausstellte, daß Heideggers französischer Kontaktmann, der „Resistance„-Kämpfer und Philosoph Jean Beaufret, mit dem rechtsradikalen Milieu französischer Propagandisten der Auschwitz-Lüge sympathisierte. Verstärkung erhielten Frankreichs Heidegger-Jünger von den postmodernen Philosophen, für die es galt, den Vordenker der Dekonstruktion zu verteidigen. Ihre Beiträge zum Philosophenstreit sind - naturgemäß - paradox und disparat.
Jean Baudrillard zum Beispiel verweigert den Diskurs. „Zu spät“ sei es. „Man hätte die Geschichte begreifen müssen, solange es Geschichte gab. Und Heidegger hätte man angreifen müssen, solange dazu Zeit war.“ Jacques Derrida, dessen Denken zu einem beträchtlichen Teil in der Philosophie Heideggers wurzelt, laviert. Derrida nimmt den „Erfinder“ der Dekonstruktion dort in Schutz, wo er der Unmoral bezichtigt wird. Das „Diabolische“ sei der Ort vieler „kühner und beunruhigender“ Werke des 20.Jahrhunderts. Allerdings wirft er Heidegger vor, zu wenig postmodern zu sein: Heidegger habe inkonsequent dekonstruiert. Mehr als ein Nazi
Den gleichen Vorwurf erhebt Jean-Francois Lyotard, der sich aus dem Verein postmoderner Denker nun ebenfalls zu Wort gemeldet hat. Das Bändchen „Heidegger und 'die Juden'“ enthält zwei Essays. Der erste Text, „Die Juden“, umkreist mit Freudschem Begriffsinstrumentarium und in assoziativer Manier die Grunderfahrung der „Urverdrängung, des unbewußten Affekts“. Der Bund des Alten Testaments ist für Lyotard das Ereignis, das die Juden als unbewußter Affekt affiziert hat und das „nicht aufhört, sie zu affizieren, ohne daß sie das Ereignis je darstellen könnten“. In der abendländischen Geschichte seien einzig die Juden in der Situation, Zeugnis einer Urverdrängung ablegen zu können. Die Endlösung war, so entwickelt Lyotard weiter, diejenige „Unternehmung, die ein für allemal diese unfreiwilligen Zeugen der Urverdrängung“ vernichten sollte.
Lyotard versucht, den Holocaust mit Begriffen der Psychoanalyse zu deuten. Sicher hat er damit nicht gemeint, daß Auschwitz hätte vermieden werden können, wenn Hitler eine Analyse gemacht hätte. Was er jedoch meint, bleibt unklar. Im zweiten Essay „Heidegger“ wirft Lyotard dem Denker vor, sein Schweigen über Auschwitz nie gebrochen zu haben. In einem wenig systematischen und komplizierten Diskus versucht Lyotard die Richtung anzugeben, in die man gehen müßte, wollte man die Gründe für Heideggers Schweigen aufzeigen. Die Beweisführung müsse über die Dekonstruktion von Heideggers Begriffsinstrumentarium laufen, es sei zu zeigen, inwiefern Begriffe wie „Volk“, „Führer“ und „Geschick“ Heideggers politische und philosophische Teste gleichermaßen beherrschten. Ohne zu diesem Beweis vorzudringen, ist jedoch auch für Lyotard klar, daß Heidegger ein Nationalsozialist und seine Philosophie „beeinflußt“ war. Die wahre „Schuld“ liegt für Lyotard allerdings „im existentialontologischen Ansatz selbst, der Heidegger in einem solchen Maße der Frage, die nach Adorno Auschwitz heißt, entrückt, daß er über sie nichts sagt und nichts zu sagen hat“. Er konstatiert den „Fehl einer Verantwortlichkeit“ und wirft dem Ideologen der Nazis vor, „mehr als ein Nazi“ gewesen zu sein. Damit freilich geht Lyotard weit über das hinaus, was andere postmoderne Mit -Denker formulieren.
Bei der Beurteilung des Stellenwerts der Heideggerschen Philosophie verwickelt sich Lyotard in Widersprüche. Heidegger sei einer der größten Denker, lautet seine erste Prämisse. Dieses Denken sei fundamental kompromittiert, lautet die zweite. Die Verknüpfung beider Prämissen verbietet Lyotard apodiktisch. - Ein kompromittierter und dennoch „größter“ Denker? Der Denker Lyotard hört an dieser Stelle auf zu denken. Die postmoderne Kategorie des Paradoxalen ist ihm dabei behilflich. Ein Abgesang?
Den besten Denker habe man verloren, nicht aber damit auch alle seine Gedanken ('FAZ‘). Der Streit geht weiter. Spätestens nach Farias und Ott müßte der letzte Heideggerianer einsehen, daß es nicht mehr darum gehen kann, ob Heidegger Nazi war oder nicht, noch darum, ob nationalsozialistisches Gedankengut in sein Werk eingeflossen ist oder nicht.
In einer Art Rückzugsgefecht verteidigt die Heidegger -Gemeinde jetzt hauptsächlich diejenigen Texte des Philosophen, die vor 1929 entstanden sind. Doch selbst das „zeitlose“ Hauptwerk „Sein und Zeit“ ist kein politisch neutrales Denkgebäude. Eine wichtige Leistung Farias ist der Nachweis, daß Heidegger schon lange vor „Sein und Zeit“ in einer der politischen Traditionen verwurzelt war, die das NS -Regime vorbereiteten, im katholischen Faschismus. Allerdings unterzieht Farias „Sein und Zeit“ nicht einer systematischen politisch-philosophischen Analyse. Vorsichtig spricht er von „Überzeugungen“, die in „Sein und Zeit“ das spätere Engagement vorbereitet haben mögen.“
Habermas urteilt mit Winfried Franzen, daß vieles von dem, was Heidegger 1933/34 sagte und schrieb, sich aus dem, was in „Sein und Zeit“ stand, zwar nicht zwangsläufig ergeben mußte, aber doch mindestens zwanglos ergeben konnte“.
Auffällig ist, daß Farias genau dann besonders hart angegriffen wird, wenn er den Heidegger von vor 1933 analysiert. Es geht um das Tabu, diejenigen antidemokratischen Traditionnen offenzulegen, die den NS -Staat ermöglicht haben und die heute noch in staatstragenden Institutionen (CDU, Bundeswehr) virulent sind. Das Spektrum jener Traditionen reicht vom ländlichen klerikalen Faschismus, aus dem Heidegger kam, bis hin zum sogenannten unpolitischen Bürgertum mit seinen xenophoben Ressentiments und sozialen Vorurteilen.
Die Dynamik der Auseinandersetzung resultiert aus dem Aufbrechen eines zweiten Tabus. Zum erstenmal wird exemplarisch am „Fall Heidegger“ öffentlich die Mitverantwortung der deutschen Universität für Auschwitz diskutiert. In diese Diskussion sind nicht nur getreue Anhänger des Denkers von Trodtnauberg, nicht nur postmoderne Philosophen verwickelt. Gefragt sind alle diejenigen Technikkritiker, New-Age-Anhänger und Öko-Bewegte - für deren Rationalismuskritik die Philosophie Heideggers eine Rolle spielt.
Schon zeichnet sich auf breiter Ebene ein Konsens ab, der Konsens, Heideggers nationalsozialistisches Engagement nicht mehr zu bestreiten, sondern als Detail zu betrachten. Selbst Habermas behauptet: „Aber das Heideggersche Werk, vor allem „Sein und Zeit“, hat einen so eminenten Stellenwert im philosophischen Denken unseres Jahrhunderts, daß die Vermutung abwegig ist, die Substanz dieses Werkes könne durch politische Bewertungen von Heideggers faschistischem Engagement mehr als fünf Jahrzehnte danach diskreditiert werden.“ Nötig wäre, die Diskussion wieder aufzunehmen, die bereits in den fünfziger Jahren begonnen hatte. Schon damals wurde gerade Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit“ von Kritikern (Adorno, Löwith, Faye) als Beitrag zur Vorbereitung des Nationalsozialismus gewertet. Jetzt muß es
-nach der historischen Aufarbeitung - darum gehen, die philosophische Analyse, in deren Richtung Lyotard weisen wollte, durchzuführen. Es gilt nachzuweisen, wie Heidegger zur Abschaffung des Individuums und seiner Verantwortung gelangt und damit das Terrain derjenigen Ideologie ebnete, die zur „Endlösung“ führte.
Victor Farias, Heidegger und der Nationalsozialismus.Aus dem Spanischen und dem Französischen von Klaus Laermann. Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas, Fischer-Verlag, 439 S., 39,80 Mark.
Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Campus-Verlag, 355 S., 48 Mark.
Jean-Francois Lyotard, Heidegger und „die Juden“. Aus dem Französischen von Clemens-Carl Härle, Passagen-Verlag, 116 S., 30 Mark.
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