: Nationalismus gegen den Amazonas
■ In Brasilien wird Kritik an der Regenwaldvernichtung als Angriff auf die Souveränität gesehen / Erst sollen die reichen Industrieländer ihren Autoverkehr stillegen
Mit nationalistischen Parolen ist Brasilien zur Verteidigung seiner Ansprüche auf das Amazonasgebiet angetreten. Doch die Mobilmachung gilt nicht der Rettung des Regenwaldes, sondern der Abwehr der aus dem Ausland drohenden „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“.
Für die Brasilianer - von links bis rechts und von oben nach unten - sind das Amazonasgebiet und die Abholzung des größten Waldes der Welt rein nationale Probleme Brasiliens. „Der Amazonas gehört uns.“ Mit diesem Aufkleber signalisieren unzählige brasilianische Autofahrer, daß sich die Ausländer gefälligst um ihre eigenen Probleme kümmern sollen. Brasiliens größte Tageszeitung 'O Globo‘ kommentierte bissig, eine „Bande von Vagabunden“ aus internationalen Ökologen, Indianern und Linken habe sich in die Idee verbohrt, daß sich am Amazonas nichts ändern dürfe und die dortigen Reichtümer für die Zukunft aufbewahrt werden müßten. Der Regierungschef des Bundesstaates Sao Paulo, Orestes Quercia, sprach auf einer Parteiveranstaltung am vergangenen Wochenende von „billiger Demagogie“ bei Amerikanern und Europäern, „die sich zum Teufel scheren sollen“.
Und Staatspräsident Jose Sarney machte die Industrieländer für die Aufheizung der Erdatmosphäre, für das Ozonloch und vor allem - für die Anhäufung von Kriegsmaterial verantwortlich, mit dem die Menschheit mehrfach vernichtet werden könne. In Kommentaren brasilianischer Medien war zu hören, die reichen Industrieländer sollten doch erst einmal ihren Autoverkehr stillegen, bevor sie von Brasilien erwarten könnten, auf die Entwicklung des Amazonas zu verzichten.
Doch die Forderung an Brasilien, den Amazonaswald im Interesse der Menschheit zu schonen, hat längst die Gipfelgespräche erreicht. US-Präsident George Bush sprach den brasilianischen Präsidenten Jose Sarney am Rande der Beerdigung des japanischen Kaisers auf den Amazonas an und warnte die Japaner davor, in Brasilien zu investieren, wenn mit diesen Mitteln die Umwelt zerstört werde. „Wir erleben den größten internationalen Druck, der jemals in der Geschichte auf Brasilien ausgeübt wurde“, erklärte Vizeaußenminister Flecha de Lima fest.
Unterdessen nimmt der Gedanke konkretere Form an, die Schonung des tropischen Regenwaldes mit einem Teilerlaß der brasilianischen Auslandsschulden zu verknüpfen. Brasilien schuldet dem Ausland rund 120 Milliarden Dollar. Doch ehe die Brasilianer ein solches Geschäft „Amazonas gegen Geld“ innerlich verkraften, dürfte noch mancher Kubikmeter Wasser den größten Strom der Erde durchflossen haben und unzählige Bäume in Flammen aufgegangen sein. Zudem ist in Brasilien Wahljahr. Am 15. November wird ein Präsident gewählt. Mit Sicherheit werden die Kandidaten versuchen, durch gefühlige Aufheizung der Amazonasfrage bei den nationalstolzen Brasilianern Stimmen zu fischen.
Siegfried Niebuhr (dpa)
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