: Hasse ma'n Zehna - Bingo für Bremer
■ Das kapiert jeder: Weser-Report tauscht kleine Blaue gegen große Braune Zeitungsspiel um Zehn-Mark-Scheine boomt in Bremen ziemlich italienisch
Natürlich ist der „Weser-Report“ nicht selbst auf die Idee mit dem Geldspiel gekommen. Die ist aus Italien importiert. Aber die Spiel-und Sammelleidenschaft der BremerInnen ist offensichtlich nicht sehr viel geringer als jenseits der Alpen, wo Bingo-Spiele den Tageszeitungen traumhafte Auflagensteigerungen bescherten.
In der taz-Redaktion mehren sich jedenfalls die Erfahrungen mit Bäckern, die auf größere Scheine eine Handvoll Fünfmarkstücke herausgeben, mit Zeitungsverkäufern, die statt passendem Kleingeld lieber Zehnmarkscheine annehmen, mit StraßenbahnfahrerInnen, die ohne zu murren lieber Groß -als Kleingeld einkassieren.
Halb Bremen scheint sich an diesem Spiel zu beteiligen, wohin man auch kommt, das Zehnmarksfieber grassiert. In der Kneipe am Eck befürchtet die Wirtin schon den Sonntagsansturm, wenn die neuen Nummern veröffentlicht werden. Die Zocker am Tisch wollen in den nächsten Wochen nur noch um Zehnmarkeinsätze spielen.
Beim Bäcker werden die Brötchen mit Hundertern bezahlt und Zehner als Wechselgeld verlangt. Im Kiosk am Dobben, wo die Kunden nur noch 10 DM-Scheine als Wechselgeld akzeptieren, ist die Stimmung geradezu gereizt: „Wer das erfunden hat, gehört erschlagen.“ In die Drogerie kommen laufend Leute, die Zehner gegen Zehner wechseln wollen.
In der Videothek hat man sich gegen den Wochenendandrang mit einer Extra-Rolle blauer Scheine eingedeckt - die allerdings vor Herausgabe gründlich durchgesehen wird. In der Innenstadt halten die EinkäuferInnen Ausschau nach der Frau, die letzte Woche den ersten Schub Scheine in Umlauf gebracht hat und auf dem Blumenmarkt wirbt der Verkäufer mit dem Packen neuer, blauer Scheine, die er „extra für seine Kunden“ gesammelt habe.
Fast schon obligatorisch scheint der Zeitungsauschnitt an der Ladenkasse zu sein, auf den VerkäuferInnen bei jedem neuen blauen Schein schnell einen Blick werfen und es wird erzält, daß
selbst auf dem Straßenstrich die Dienste für kleine Scheine angeboten werden.
Das neue Gewinnspiel, für das nicht nur in den zwei Wochenausgaben, sondern auch im Werbefunk getrommelt wird, ist halt ein Riesenerfolg und die Rechnung wird aufgehen: Man investiert für fünf Spielrunden 60.000 DM , sichert sich so wochenlange Aufmerksamkeit - bis hin zur taz - und holt das Geld durch vermehrte Anzeigen-Akquisition mühelos wieder herein.
Aber so heftig wie im „Weser-Report“ beschworen - Wertkauf: Alle verlangen Zehner als Wechselgeld; Volksbank: Gleich bündelweise werden die Scheine verlangt - ist die Bremer Bingo-Leidenschaft nun doch nicht.
Die Sparkassenangestellte stöhnt zwar, sie müsse laufend Zehner herausgeben, aber bei der Commerzbankfiliale weiß man von nichts und in der „Bremer Bank“ kann vom Sturm auf die Zehner keine Rede sein.
Auch gibt es noch genug Ladentische, über die kommentarlos Zehnmarkscheine wandern,
so, als habe sich die Welt seit Beginn des Spieles überhaupt nicht verändert. Ist Bremen womöglich doch nicht Palermo oder Neapel?
fwg
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