SCHÖNEBERGER RINGELREIHEN

■ Radan in der Turbine Rosenheim

Zwei Raumprojektionen, drei Performances und fünf Stunden Video-Mix von Acid Mix über Korea Mix bis zu World Mix und ein in Stacheldraht beißender Mann waren angekündigt worden. Auf einem der vier Zettel stand nur noch: Radan kommt nach Berlin. Na endlich, hätte der Nachtschwärmer jubeln können (egal, wer Radan denn nun sei), wenn es nicht die aus New York und London eingeschleppte Hinweiszettelkrankheit gäbe, mit der nun auch in Berlin jedes Szenelokal nach dem Motto „Viel Lärm um nichts“ zum „Club“ zu avancieren versucht. So etwas macht mißtrauisch.

Seit einiger Zeit versucht die Turbine Rosenheim, das Mittwochspublikum, das sich am Kinotag vor den Lichtspielhäusern um den letzten Sitz drängelt, in den „Club“ zurückzugewinnen. Die ersten Acid-Parties im Hause Rosenheim seien noch attraktiv gewesen, dann hatte die Qualität nachgelassen, und die Gäste waren ausgeblieben, versicherte ein Fachmann für Fragen der Schöneberger Society. Also engagierte die Turbine Radan: „Readymades bieten Bildkompositionen für verschiedene szenische Strukturen: Hängen im Schacht, Segeln auf Tönen, Reiten auf Geräuschen, Skulptur im Raum...“ - ein Avantgardekonzentrat etwa?

Um 0.30 Uhr war der schmale Raum der ehemaligen Drogerie immer noch recht leer. Es blieb genügend Zeit, noch einen Grundkurs in Gesellschaftskunde zu nehmen. An der Tür saß Danielle aus Amerika und kassierte den Obolus von fünf Mark. Danielle macht in Mode und ist mit DJ Motte liiert, der seine Anlage auf der winzigen Galerie aufgebaut hatte. Der Türsteher wurde vor einiger Zeit einmal zum schönsten Türsteher Berlins gekürt und arbeitet nun angeblich auch in einem Billardcafe in der Großgörschenstraße. In den dunkelhaarigen Barkeeper sollen sich alle Frauen angeblich verlieben, sein blonder Kollege heißt Falco, macht auch in Mode und ist immer gleich sanft gebräunt, obwohl eines dieser Zeitgeistmagazine unlängst Sonnenstudios für out erklärt hat.

Nach dieser ersten Lektion erschienen auf den Bildschirmen der beiden Fernseher Peiks Videoturm, das Olympiastadion von Seoul - „Radan arbeitet in und an der KunstDisco auf der Olympiade '88“ - und immer wieder Köln. In Köln stehen hauptsächlich ein Dom und ein Fernsehturm, und beide waren dann auch prompt zu sehen. Plötzlich tauchte ein Menschenkind neben der Bar auf, vollständig von Papierbahnen mumifiziert, mit Klebeband spiralförmig zusammengehalten vermutlich Radan, der nach Berlin in die Turbine gekommen war. Das Menschenkind erklomm einen der Gerüstträger und führte in höchster Konzentration und mit bebender Bauchdecke langsam gymnastische Übungen vor. Sein eines Bein zeichnete dabei raumgreifende Kreise. Schließlich hing es faultierähnlich an der Schwarzlichtröhre unter der Decke.

Die Gäste warfen allerdings Seitenblicke auf den Akrobaten. Der Gesellschaftsklatsch war interessanter. Lektion Nummer zwei: DJ Motte zum Beispiel legte Liaison Dangereuse auf, an der Gabi Delgado beteiligt war, und der hat die erste Platte von Temple Fortune produziert, und die sollen vor einer Woche in Rotterdam gespielt haben, wo auch der Bruder von Delgado, Eduardo Delgado-Lopez am Baß von Caspar Brötzmann Massaker gewesen sein muß. Die Turbine hat auch noch einen anderen Türsteher, der in Rotterdam in einer dritten Band getrommelt haben soll. Dieser türstehende Schlagzeuger wiederum verkehrt hin und wieder in einer Kneipe um die Ecke, und von dort kam in diesem Moment eine der hoffnungsvollen Lassie-Singers und begann ein Gespräch mit Mottes Freundin. Danielle hat übrigens, erzählt man sich, auf der letzten „Monumenta“ ausgestellt. Gabi Delgado, der auch schon manches Mal im Schöneberger Dreieck gesichtet wurde, kommt aus Düsseldorf, was bekanntlich ein Vorort von Köln ist oder umgekehrt, und in beiden Städten war der Peiksche Turm zu sehen, der nun schon zum zweiten Mal über Radans Video flimmerte. Außerdem waren noch andere Gäste da, mit denen sich der Klatschfaden über Professor Pampey Pah, die im Winter in der Turbine gastierten, in den Rosenheimer „Club“ zurückspinnen ließe. Des weiteren waren Freunde und Förderer des Radio 100 anwesend, das in dieser Nacht sein zweijähriges Bestehen feierte.

Radan war inzwischen verschwunden. Niemand hatte es bemerkt, niemand spendete Applaus. Schnell verlief sich das Publikum. All die schönen Zettel wieder einmal umsonst. Radan kam nach Berlin. Und wer kommt nach Radan?

Cäcilie