: Große Koalition zur Zukunft der Arbeit
Oskar Lafontaine und Lothar Späth diskutieren auf einem SPD-Kongreß über die Zukunft der Gesellschaft / Statt eines Streitgesprächs weitgehende Einigkeit / Nur beim Tempolimit gab es Disput ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
Geladen hatte die historische Kommission der SPD in Bonn. 40 Jahre Bundesrepublik, 40 Jahre Alternativen in der Demokratie hieß der Kongreß.
Um „die demokratische Gesellschaft der Zukunft“ sollten sich vor den annähernd 500 Zuhörern Oskar Lafontaine (SPD) und Lothar Späth (CDU) streiten.
Auf dem Podium saßen gestern die beiden Ministerpräsidenten, die beiden Parteivorsitzenden - und bekundeten in fast allen wesentlichen Fragen eine Meinung. Etwa beim Problem zukünftiger Arbeitszeitpolitik. Da hielt Oskar Lafontaine ein leidenschaftliches Plädoyer - Lothar Späth widersprach kaum. Er hatte auch keinen Anlaß: Der stellvertretende SPD-Vorsitzende forderte wieder einmal Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohhnausgleich. Er appellierte an die Linken, sich von der „Konzentration auf die Erwerbsarbeit“ zu lösen, sich einen neuen Arbeitsbegriff zu suchen, überhaupt in dieser Diskussion flexibler zu werden.
Lothar Späth blieb da lediglich, den arbeitsfreien Sonntag zu verteidigen, den „wichtigsten Tag für die Familie“, an dem nach Lafontaine Arbeit nicht tabu sein darf, „denn schließlich wird der Sonntag nicht im 'Kapital‘, sondern in der Bibel geheiligt“.
Statt eines Streitgespräches wurde dem Publikum auch beim Thema Umweltpolitik weitgehende Einigkeit demonstriert. Der von Späth pauschal geforderten Entlastung von Leistungen für den Umweltschutz etwa, der Förderung umweltfreundlicher Produktion überhaupt, stimmte Lafontaine zu, ohne genauer nachzufragen, was sein Diskussionspartner denn damit meine.
Lediglich das Stichwort Tempolimit rang den beiden Kontrahenten der Parteizugehörigkeit wegen einen mühsamen Dissens ab. Und schließlich ermöglichten Lafontaines harmlose Worte von der multikulturellen Gesellschaft, in der „eine Internationalisierung statt der Nationalisierung“ des Ausländerproblems vonnöten sei, es Lothar Späth, sich zu profilieren. Da Änderungen der Abschiebepraxis im Asylrecht nur die Probleme der Betroffenen vergrößerten, solle man in immer stärkerem Maße den Zuzug begrenzen.
„Zwei Hoffnungsträger, zwei potentielle Kanzlerkandidaten“, so hatte die Moderatorin Lafontaine und Späth vor der Diskussion charakterisiert.
Nach der Vorstellung könnte man ergänzen: zwei Modernisierer ihrer Parteien, zwei technokratische Politiker einer Generation und einer Kultur, zwei, die pragmatisch auf ideologische Visionen verzichten - wozu es auch gehört, diesen Verzicht zu demonstrieren.
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