NICHT GANZ NEU

■ Freitag nacht im Blockshock

Es tötet mich immer fast gar nicht, wenn ich extra eine halbe Stunde zu spät komme und erfahre, daß der Spaß ganz offiziell erst zwei Stunden später anfängt. Als ich dann wieder auflief, dauerte es noch einmal ein Bier lang, bevor die Lassie Singers ins Universum des deutschen Schlagers eintauchten, uns durch die geheimnisvolle Welt des Reimzwangs geleiteten und unsere Sorgen mit wunderschön einfachen Melodiechen und herrlich dummen Texten vertrieben. „Falsche Gedanken machen dich verrückt/ Falsche Gedanken bringen dich ums Glück/ Falsche Gedanken müssen doch nicht sein/ Falsche Gedanken. Nein! Nein! Nein!“ Wer reimte zuletzt so geschmackvoll hirnrissig?

Aber auch die Klassiker blieben uns nicht erspart: „Rote Lippen soll man küssen“ und natürlich auch einer von den Piräus-Schinken: „Ein Schiiiff wiiird kooommen und das bringt mir den eeeinen, den ich so lieb wie keeeinen...“. „Tür an Tür mit Alice“ von Howard Carpendale wird umgetextet: „Seit 24 Jahren liegst du neben mir/ Seit 24 Jahren sprichst du kein Wort mit mir/ Oh Alice“.

Doch die Dreistigkeit der Lassie Singers geht weiter. So weit, selbst aus Neil Youngs „Like a hurricane“ ein Reim -dich-oder-ich-freß-dich-Glanzstück zu machen. „Du bist wie ein Wirbelsturm“ beweist mit seiner fast wörtlichen Übersetzung wieder mal die holprige Tolpatschigkeit der deutschen Sprache. Sehr geschmackvoll auch die Bühnenklamotten. Die drei Singers in blauen, Norbert an der Gitarre in einer roten Fantasieuniform vom Flohmarkt. Heiner am Schlagzeug fällt leider etwas aus der Reihe und trägt nur seinen besten Rüschenfummel, den er bei 'Temple Fortune‘, wo er sonst trommelt, nicht anziehen darf.

Noch leicht verbesserungsdürftig ist die Choreographie von Almut, Kathrin und Wie-hieß-die-Dritte-noch-gleich? Die pathetisch nach unten gesenkten Arme mit geöffneten Handflächen, der ergreifende Griff ans Herz, jedesmal wenn das Wort Liebe fällt, sind schon sehr gekonnt, aber etwas mehr Synchronizität und Professionalität wären im Hinblick auf eine eventuelle Fernsehkarriere noch zu wünschen. Mit besser sitzenden Bühnenuniformen, entsprechender Promotion, und wenn Kathrin ihre todschicke 50er-Jahre-Brille gegen ein biederes Kassengestell austauscht, könnten sie sowas wie die urdeutsche Version von 'Bananarama‘ werden. Die 'Supremes‘ des deutschen Schlagers.

Wahrscheinlich gibt es ein paar erstrebenswertere Dinge, die die jungen Damen vorher noch angehen werden, aber Jazzfunkrock wird es sicher nicht sein. Stan Red Fox sind auf die Idee gekommen, die so neu ja auch nicht mehr ist, ein paar Dinge zu fusionieren, die nicht so recht zusammenpassen, aber nur so viel davon zu nehmen, daß es niemandem wehtut. Eine solch pure 'Chic'-Gitarre hatte ich seit Jahren nicht gehört, und in ihren besten Momenten hatte es sogar was von den frühen 'Gang of 4‘. Das ist dann schon das Positivste, was mir einfällt, weil ich wohl nie verstehen werde, wie man die Bedienung einer musikalischen Moulinette mit Innovation verwechseln kann. Nichts gegen Manschen, Mixen und Zusammenpappen, aber anhören sollen sich das andere, ich erkläre mich in diesem Fall für nicht zuständig. Jazzrock war schon vor fünfzehn Jahren so nötig wie ein Kropf. Was Deutschland wirklich braucht, sind die 'Lassie Singers‘, das liegt beim momentanen Zustand des deutschen Schlagers auf der Hand. Wenn Leute wie Jürgen von der Lippe mit „Guten Morgen, liebe Sorgen“ oder Mike Krüger die Szene beherrschen, wird es Zeit für frisches Blut, wirklich gnadenlos schlechte Texte und noch mehr Rosen aus Athen. 'Lassie Singers‘ nutzt eure Chance, nie war es so einfach wie heute.

Thomas Winkler