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Wehrkraftzersetzung

■ In diesem unserem Land gelten Deserteure bis heute als Kriminelle

Gerhard Zwerenz

Die Wiederholung des Gleichen resultiert aus dem Milieu, das vor dem Dritten Reich vorhanden war, im Dritten Reich seine nationale Pflicht tat bis zum Verrecken, wobei aber meist andere Schaden nahmen, denn das Milieu wurde nach dem Dritten Reich wiederum beherrschend.

Erkennbar ist es an den provinziellen Normalzuständen. Da mögen Geißler-Kohl ihre Bonner Zentralen noch so sehr versüssmuthen und zur Mitte hin verliberalisieren, das Milieu bleibt, was es immer gewesen ist, und wozu Dregger in seiner Volkstrauertagsrede 1986 im Bundestag die Ideologie lieferte.

Da tagen unschuldige Kriegervereine unterm Bild des Kriegsverbrechers Dönitz. In der einen Bundeswehrkaserne wird Guderian geehrt, in der anderen von Manstein. Die wieder andere Kaserne trägt den Namen des Urhitlerianers Dietl, neben der vierten Kaserne steht ein Wegweiser nach Moskau mit Kilometerangabe, ganz als hätte die Rote Armee den Herren deutschen Generalen dort nicht das Weglaufen beigebracht.

In der übernächsten Kaserne haust Oberstleutnant Hans -Jürgen Leyherr, Standortältester von Marburg und Herr über 3.000 Soldaten: „Wir sind ja heute in einer Demokratie und denken heute ganz anders als zur Zeit des Nationalsozialismus. Aber auch damals gab es ein Recht, auch zu Kaisers Zeiten gab es ein Recht, das vom Volk erwünscht und anerkannt gewesen war. Wenn es nicht anerkannt gewesen wäre, wäre die NSDAP nie an die Macht gekommen. Es war ja der Wunsch des Volkes, und das war die damalige Rechtsordnung, der sich die damals genauso verpflichtet gefühlt haben wie wir heute unserer demokratischen Grundordnung. Da sehe ich überhaupt keinen Unterschied.“

Der fehlende Unterschied zwischen heute und gestern, BRD und Drittem Reich verbürgt die Kontinuitäten. Gehen wir ins Milieu weiter südlich, nach Würzburg, wo die Grünen ein Deserteursgedenken am Kriegerehrenmal abzuhalten wagten, was für CSU-Bürgermeister Erich Felgenhauer ein „Pogrom gegen das Andenken, die Pflichterfüllung und den Opfertod aller gefallener Soldaten“ ist.

Womit wir nun genau wissen, was im Milieu als Pogrom gilt. Nicht der Abtransport der Würzburger Juden in die Vernichtungslager, wovon es Fotografien gibt, auf denen pflichterfüllende deutsche Soldaten zu sehen sind, die den Zug in den Holocaust treu und gehorsam begleiten und bewachen. Nein, das ist unsern Rechten kein Pogrom, vielmehr ist's das Gedenken an Soldaten, die „ihre Pflicht nicht erfüllten“, sondern desertierten. Vielleicht, weil sie am Holocaust nicht mitschuldig werden wollten. Da wir einmal beim Würzburger Milieu sind, bleiben wir auch da, denn es ist so signifikant wie flächendeckend, also stellvertretend für tausend rechtgläubige Örtlichkeiten. Wovon, zum Beispiel, ist Würzburgs CSU-Geschäftsführer Dr.Bötsch „sehr betroffen“? Natürlich von derselben Gedenkfeier der Grünen für „Deserteure und Wehrkraftzersetzer“. So nennt er das 1988, nicht etwa 1939. Irrtum ausgeschlossen. Und so geht er mit bestem Beispiel weiter voran und dankt ausdrücklich „allen Soldaten, die im Weltkrieg ihre Pflicht getan haben“.

In Illertissen bei Ulm heißt es: “...Was in aller Welt ergibt einen plausiblen Grund, Soldaten, die ihr Leben zur Verteidigung ihrer Heimat einsetzen, als Mörder zu diffamieren? Wer im letzten Krieg seinem Stellungsbefehl nicht nachkam, wurde sehr schnell und schwer bestraft. Was wurde von den Kriegsteilnehmern an unsäglichen Strapazen und Opfern verlangt, und wieviele haben ihr Leben opfern müssen!“ Unterschriften: „Für die Kreiskameradschaft ehem. Gebirgsjäger... Krieger und Soldatenverein... Ortsverband der Heimkehrer... VdK-Ortsverband...“

Die Kameraden sind empört. Was wollen sie? Ganz einfach: „Sowohl in der Sowjetunion als auch in der übrigen Welt genießen ehemalige Kriegsteilnehmer bei verschiedenen Gelegenheiten besondere Vorzüge und Vergünstigungen...“ Man muß in die Provinz gehen, um zu erfahren, was diejenigen wollen, die Europa in Blut und Asche versinken ließen. Munter vergleichen die alten Kameraden sich mit den Soldaten der Sowjetunion. Der Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung ist ihnen selbst ein Halbjahrhundert nach Kriegsbeginn noch völlig unbekannt. Denn sie lesen nicht, sie pflegen ihre Ressentiments.

Wer aber nicht mitschoß und mithenkte, sondern etwa gar desertierte, der wird 1989 noch genau so diffamiert wie in den vorangegangenen deutschen Staaten.

Oberstleutnant Leyherr, Standortältester von Marburg: „Für mich sind Deserteure ganz klare Gesetzesbrecher, Männer, die ihre Pflicht gegenüber dem Staat und - das möchte ich besonders hervorheben - ihren Kameraden mißachtet und verletzt haben.“

Wenn der Deserteur beim Verschwinden gefaßt und erschossen wurde, hat er nur bekommen, was er verdiente. Seiner darf auch nicht gedacht werden: „Ich betrachte ein Denkmal für Deserteure als eine Schande für unsere Auffassung von Recht und Gesetz, ja ich betrachte dies sogar als Angriff auf diesen Rechtsstaat. Und Leute, die den Rechtsbruch der Deserteure verherrlichen, sind für mich Individuen, die darauf hinarbeiten, unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu untergraben.“ Für den Bundeswehr -Oberstleutnant ist die Ehrung der Deserteure des Zweiten Weltkriegs eine „Ungeheuerlichkeit“, begangen von „fehlgeleiteten Menschen“, womit wir uns vor „den anderen europäischen Kulturvölkern lächerlich“ machen.

In einem Interview mit dem zuständigen Offizier auf der Hardthöhe erkundete ein ZDF-Aspekte-Redakteur die Meinung des Verteidigungsministeriums zur Einschätzung Leyherrs. Das Resultat war, daß Bonn seinen Marburger Oberstleutnant bestätigte.

Die Männer vom 20.Juli 1944 sind inzwischen anerkannt worden. Es handelt sich um Offiziere. Deserteure aber sind durchweg einfache Soldaten. Ihre Pflicht war, zu gehorchen und ihren Vorgesetzten bis hinauf zum Führer, dem obersten Kriegsherrn, zu dienen. Wer als Soldat von der Hitler-Fahne ging, wird noch in der BRD dafür verachtet und gestraft. Das ist Rechtsstandpunkt.

Mit den Deserteuren tut sich auch die SPD schwer. In einigen Städten kam es zu Denkmalsinitiativen. Bremen ging voran, mit SPD-Hilfe. Kassel brachte es zu einer kleinen Gedenktafel. In Darmstadt, München, Ulm gab es Ansätze. Initiatoren sind meist Grüne. Am unlustigsten die Stadt mit dem bekannt größten Kultur-Etat, Frankfurt, wo die Grünen ihren Römer-Sprecher Lutz Sikorski allein ließen und Kulturdezernent Hilmar Hoffmann die klassische Abwiegelungsposition vertritt: „Ich bin ganz klar dagegen, daß man zu diesem Thema ein Denkmal errichtet, das halte ich nicht für angemessen.“ Der Begriff Deserteur habe außerdem einen „abfälligen Beigeschmack“, weshalb das Denkmal eine „falsche Alternative“ sei.

Also sprach der Kulturpudding am Main und wackelte.

Indessen ist Genosse Prof.Hoffmann lernfähig. Hatte er Anfang der achtziger Jahre Ernst Jünger mit dem Goethepreis versehen, entdeckte er in den anschließenden Jahren, Jünger sei ein Kriegsbarde gewesen, welche überraschende neue Einsicht er 1988 flugs seinem Fischer-Taschenbuch Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit einverleibte. Zwar bleibt der Hilmarsche Fortschritt somit den Massen unbekannt, denn wer liest denn schon, doch der lieben Seele tut's im stillen Kämmerlein gut. Spätestens im Jahre 2000 wird Hoffmann oder sein Nachfolger den 333 mainischen Museen gewiß ein Deserteursmuseum hinzufügen. Wenn niemand mehr was dagegen hat. Solange die Sache aber politisch heiß und umstritten ist, hält ein auf-rechter Frankfurter Kultur-Sozi sich tapfer beiseite und bedeckt, denn wieder mal herrscht Wahlkampf, da muß geglättet, integriert, poliert werden. Ein Wort für Deserteure könnte Stimmen kosten. Schließlich faselt auch der neue SPD-Programmentwurf noch irgendwas von „Vaterlandsverteidigung“. Ein Vorschlag zur Güte: In Gelsenkirchen stellte 1988 eine private Gruppe „Aktion gegen Krieg“ eine vorzügliche Ausstellung über Deserteure zusammen. Ekkehart Krippendorf berichtete davon am 8.Dezember 1988 in der taz. Ulm bemüht sich um die Ausstellung, deren Exponate in Kellern unbeachtet verfaulen. Hol‘ die Ausstellung, Hilmar, nach Frankfurt. Vielleicht hilft's noch was. Allerdings: Die beteiligten Künstler sind radikale Künstler, der Marktwert der Exponate ist also gering, die Deutsche Bank wird schwerlich was ankaufen. Und wenn's unter OB Brück nicht angeht, dann vielleicht unter Hauff, falls der SPD-Kulturdezernent unterm Sozi-OB bruchlos weitermacht wie vordem im CDU-Geschirr.

Deutschland über alles: Hätte der deutsche Soldat an der Ostfront die Waffen niedergelegt, dann „hätte er etwas getan, was er... nicht verantworten konnte“ (Prof.Ernst Nolte).

„Wer sich... dafür entschieden hat..., dem Kriegsgegner bis zuletzt zu widerstehen, der hat für seine Person eine ehrenhafte Wahl getroffen. Das gilt insbesondere für die Soldaten des deutschen Ostheeres...“ (Dr.Alfred Dregger).

„Aus vielen Gesprächen, die wir im Kriege führten, weiß ich, daß nicht wenige aufrechte und tapfere Männer der Waffen-SS an die sogenannte 'Zweite Revolution‘ glaubten. Sie hätte die Nutznießer und Bonzen hinwegschwemmen und einen wahren idealistischen Nationalsozialismus schaffen sollen“ (Franz Schönhuber).

Die Einschätzung und Bewertung des Zweiten Weltkriegs zieht sich wie ein brauner Faden durch die Nachkriegsgeschichte. Der Kampf um den Sieg im Interpretationskrieg wird mit zunehmender Härte geführt. Was taten die Soldaten 1939-45 also? Taten sie nichts als ihre Pflicht, sind Deserteure Verräter. Kämpften die Soldaten hingegen für den nationalsozialistischen Unrechtsstaat, müßten die Deserteure anerkannt, d.h. erst einmal rehabilitiert werden, denn bis jetzt gelten sie wie im Dritten Reich als Kriminelle, die das todeswürdige Verbrechen des Verrats begangen haben.

Diese Frage rührt auch an das Selbstverständnis der Bundeswehr, deren Traditionspflege bisher keine Scheidung von Wehrmacht zuließ, weshalb es nur logisch ist, daß Deserteure von der Bundeswehr ebenso bewertet werden wie einstens von der Wehrmacht unseligen Angedenkens (Vorsicht Wehrkraftzersetzung!). Diesem in der Bundeswehr anhaltenden Wehrmachtsungeist erscheint jedes Deserteursdenkmal als Provokation. Was sie auch ist. Allerdings müßte einem demokratischen Volk und einer demokratischen Bundeswehr die Kriminalisierung von WeltkriegII-Deserteuren Provokation sein. In den Köpfen der Führung aber herrscht das altdeutsche braun-schwarze Milieu, das die Vernunft verhindert und zum Staatsfeind und Wehrkraftzersetzer erklärt.

Oberstleutnant Leyherr, gedeckt vom Bonner Hardthöhensprecher: „Für mich sind Deserteure ganz klare Gesetzesbrecher, Männer, die ihre Pflicht gegenüber dem Staat und - das möchte ich besonders hervorheben - ihren Kameraden mißachtet und verletzt haben.“

So die Stimme des Hitlerschen Milieus, verlängert durch die Stimme eines Oberstleutnants der Bundeswehr im Jahre 1989.

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