: „Unmögliches gewerkschaftliches Verfahren“
■ Streikende Drucker fühlen sich von eigener Tarifkommission hintergangen / Vorstandspapier legte klammheimlich schon Tarifkompromiß fest / Bremer Bezirkssekretär verließ Streikversammlung unter Protest
Nach eineinhalb Stunden hatte Dieter Wilhelmi, Bremer Bezirkssekretär der IG Druck und Papier, am Dienstag abend die Nase voll. Halblaut murmelte Wilhelmi etwas von „Jetzt habe ich das Affentheater satt“ und verließ unter Protest den Saal. Zurück blieb nicht etwa eine verdutzte Arbeitgeber -Runde nach einer festgefahrenen Tarifverhandlung, zurück blieb im Bremer Gewerkschaftshaus eine Versammlung von rund 200 streikenden Druckern.
In ziemlich aufgebrachter Stimmung hatten die Kollegen von der Basis dem Kollegen Bezirkssekretär zuvor kräftig die Meinung über die bisherige Streikorganisation und die Verhandlungsführung ihrer Tarifkommission gesagt. Anlaß für die gereizten Töne: Ausgerechnet von der Arbeitgeberseite war Gewerkschaften der Bremer Tageszeitung AG (Bretag) ein internes Kompromißpapier der Gewerkschaftsspitze zugespielt worden, in dem Mitglieder der gewerkschaftlichen Tarifverhandlungs-Kommission offensichtlich schon klammheimlich ihre Einigungslinie mit der Arbeitgeberseite festgelegt hatten. Noch bevor die Gewerkschaftsbasis die vorgesehenen Kompromißformeln auch nur zur Kenntnis nehmen konnte, war das Papier bereits bei der Arbeitgeberseite gelandet. Aufgeregte Telefonate der Bretag-Vertrau
ensleute ergaben: Das Papier ist tatsächlich echt.
Während Drucker im ganzen Bundesgebiet seit Tagen und auf Aufruf ihrer Gewerkschaft für den Erhalt des freien Wochenendes (Ausnahme: aktuelle Sonntagszeitungen) warnstreiken, während die offizielle Streikzeitung der IG Druck noch am 3. März vollmundig verkündete „Es bleibt dabei: Wir verteidigen das freie Wochenende“, gesteht das interne Gewerkschaftspapier den Verlegern an sieben Wochenenden pro Jahr den Druck von Zeitschriften zu. Das ganze zu Wochenend-Lohnzuschlägen (75 %), die weit unter dem liegen, was z.B. der Kurier am Sonntag seinen Produzenten per Betriebsvereinbarung schon heute zahlt (160 - 204%).
Bei Weser-Kurier und Bremer Nachrichten wurden am Dienstag nach Bekanntwerden des Papiers Vorbereitungen für einen erneuten Warnstreik abgebrochen. Stattdessen schickten die Bretag-Vertrauensleute ihrer Verhandlungskommission ein Telefax nach Wiesbaden, in dem es unter anderem heißt: „Trotz Streikaufruf haben wir unsere Belegschaft heute morgen nicht in den Streik geführt, weil wir uns hintergangen fühlen und erst Klarheit von unseren verantwortlichen Funktionären haben wollen, für welche Forderungen weitergestreikt werden soll.“
Bezirkssekratär Wilhelmi bemühte sich am Dienstag vergeblich, für die geforderte Klarheit zu sorgen und das umstrittene Papier als „Formulierungspapier“ von drei Mitgliedern im Hauptvorstand der IG Druck tiefzuhängen. Die Mehrheit der Drucker ließ sich auch durch Wilhelmis Beschwörungen, „die Streikfront nicht kaputtzureden“, ihren Eindruck nicht ausreden, daß die Gewerkschaftsspitze „ohne Not“
und vor dem eigentlichen Streik entscheidende Positionen geräumt habe. Großer Beifall dagegen für die Forderung: „Die Verhandlungskommission muß sofort zu unseren ursprünglichen Forderungen zurückkehren und aufhören, Nebelbomben in die Streikfront zu werfen.“
Eine entsprechende Resolution an die Verhandlungskommission der IG-Druck verabschiedete die Versammlung nach zweistündi
ger Debatte einstimmig. Darin heißt es: „Wir halten es für ein unmögliches Verfahren, daß die Kolleginnen und Kollegen in den Bezirken und Ortsvereinen durch die Arbeitgeber über Kompromißlinien unserer Verhandlungskommission informiert werden.“ Als alle Anwesenden die Hand für die Funktionärs -Schelte hoben, hatte der Bremer Bezirkssekretär den Saal bereits verlassen.
K.S.
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