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Vom Baum der Erkenntnis genascht

Kommunalwahlkampf in Hessen: Sozialdemokraten fordern Abschaltung des AKWs Biblis und das Ausländerwahlrecht / Demoskopen sehen gute Chancen für rot-grünes Bündnis im Römer  ■  Von K.-P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Zwei wie Blitz und Donner haben es halt schwer in diesem Leben. Und wenn es sich dabei noch um zwei in verwandtschaftlicher Haßliebe „verbundene“ Partner von gestern handelt, dann geht man sich besser aus dem Weg besonders vor Wahlen. Während die Grünen in Frankfurt der SPD ohne Wenn und Aber ihre Koalitionsbereitschaft signalisiert haben, zieren sich die Sozialdemokraten mit ihrem schwäbischen Spitzenkandidaten Volker Hauff noch heftig.

Stimmen verlieren - gegenüber den Kommunalwahlen 1985 wird die Frankfurter SPD mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Die Demoskopen rechnen allenthalben damit, daß es für Rot-Grün in der Mainmetropole reichen wird: Berlin und Frankfurt - eine Front? Der sozialdemokratische Oberbürgermeisterkandidat Volker Hauff hat mit Unterstützung seiner Wahlkampftruppe einen Kommunalwahlkampf gegen den von Bestechungsskandalen und eigener Profillosigkeit gebeutelten CDU-Oberbürgermeister Wolfram Brück geführt und dabei Punkte gutgemacht. Der „Schwarm aller Mütter“ ('Pflasterstrand‘), den man ohne Bedenken die Tochter zum Tanztee anvertrauen kann, gab sich weltoffen und „frankforterisch“ zugleich - und diese Mischung kommt an, in der US-amerikanischsten aller bundedeutschen Städte.

Seine Vorstellungen von der multikulturellen Gesellschaft die von den Grünen en detail ausformuliert wurden - bringt Hauff auf einen unverbindlicheren kulinarischen Nenner: Chinesische Frühlingsrollen oder italienische Lasagne seien in Frankfurt inzwischen ebenso heimisch wie Rippchen mit Kraut. Hauffs verbaler Einsatz für das kommunale Wahlrecht war denn auch der Aufhänger für die ekelhafteste Plakatserie, die von der Union in Frankfurt bislang geklebt wurde: „Wir Frankfurter sind gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer.“ Die angemessene Reaktion auf die ausländerfeindliche Plakatserie der Union kam vom grünen Juniorpartner in spe: „Schluß mit der schwarz-braunen Allianz: CDU abwählen!“

Hessenweit hat die SPD einmal mehr unter Beweis gestellt, daß die Partei ein janusköpfiges Gesicht hat. Da wird heute die sofortige Abschaltung der AKWs in Biblis plakativ gefordert, ein Ansinnen, daß die SPD als hessische Regierungspartei noch weit von sich gewiesen hatte. Und nicht zuletzt an der Unnachgiebigkeit der SPD in der Atomfrage war im April 1987 das rot-grüne Hessenbündnis gescheitert. Ähnlich doppelbödig argumentiert die SPD in der Frage des kommunalen Wahlrechts: Als Regierungspartei hatte die Partei grüne Anträge auf Verabschiedung des kommunalen Wahlrechts regelmäßig abgebügelt - als Oppositionspartei wirbt die SPD nun bei den WählerInnen um „Verständnis für das kommunale Wahlrecht für Ausländer“.

Ob die Sozialdemokraten nun vom Baum der Erkenntnis genascht haben oder ob sie - zumindest in der AKW-Frage opportunistisch auf den ausstiegswilligen Zeitgeist reagiert haben, müssen am kommenden Sonntag die BürgerInnen des Hessenlandes entscheiden. Dabei sind die SPD-Hochburgen in den Städten kaum in Gefahr, von der Union geschleift zu werden. Die Demoskopen und Auguren prophezeien den Sozialdemokraten eher einen Stimmenzuwachs - zu Lasten der CDU. Gezielt greifen die Sozialdemokraten „in der Fläche“ denn auch bundespolitische Themen auf und hauen sie den schwarzen Konkurrenten um die Ohren: Gescheiterte Gesundheitsreform, Wohnungsnot und verfehlte Umweltpolitik sind die Stichworte für die Sozis zwischen Odenwald und Hohem Meißner - und die Christdemokraten versuchen krampfhaft, kommunale Themen in den Mittelpunkt des Kommunalwahlkampfs zu stellen. Der Bundestrend ist wieder Genosse geworden. Und die hessische SPD wird landesweit davon profitieren. Fällt auch noch Frankfurt in rot-grüne Hände, bleibt den Christdemokraten nur noch die Fluchtburg Fulda mit dem erzkonservativen Bischof Dyba. Dann können sich Wallmann und Dyba gemeinsam an die Glockenseile hängen und sich das Klagelied vom gottlosen rot-grünen Hessenland vorbimmeln.

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