: Wo bunte Bilder lockend piepsen
■ Computermesse CeBit in Hannover eröffnet / 500.000 Besucher werden erwartet / Alles wird kleiner, schneller, bunter, aber wirklich Neues gibt es nicht / Multivisionen der Kommunikation mit 300 Zeichen pro Sekunde
Bremer Computerkenner scheinen zwischen 30 und 50 Jahren alt und männlich zu sein und mit Vorliebe in hellgrauen Trenchcoats zu schwarzem Aktenköfferchen an die Öffentlichkeit zu treten. Dieser Eindruck drängt sich zumindest am Bahnsteig des Hauptbahnhofs auf, wenige Minuten bevor der Sonderzug zur CeBit-Messe nach Hannover einläuft. In den 15 riesigen Messehallen fallen unter den rund 500.000 erwarteten BesucherInnen allerdings auch Gruppen blaubetuchter Japaner auf, einzelne Exemplare bärtiger Computer-Freaks in Pullover und größere Gangs junger Schüler mit aufgeblähten Plastiktüten voller Prospekte - vom Messepersonal auch „Geier“ genannt. Frauen stehen dagegen hinter den Ständen und machen breite Münder. Oder sie flimmern halbnackt über bunte Bildschirme.
Elektronisch piepsen kann heutzutage schon jede bessere Kaffeemaschine. Da müssen sich die Verkäufer so abstrakter Dinge wie Software, Multiuser-Oberflächen oder Plotter -Schnittstellen schon etwas plustern, um aus der Menge der 3.100 Aussteller aus 37 Ländern herauszustechen. Dennoch ist der übergreifende Eindruck der Computer-Messe vor allem akustisch: Vom Schnattern der Drucker über das Piepsen und Fiepsen aus den Tastaturen bis hin zu Beethovens Fünfter, die
eine japanische Firma per Diskette einem „Stereo-Computer“ entlockt. Kommunikation: draht- und sinnlos
Wer Ende der 80er Jahre immernoch denkt, Kommunikation habe etwas mit dem sinnlichen Kontakt zwischen Menschen zu tun, kann sich auf der CeBit eines Besseren belehren lassen. Je abstrakter, digitaler und drahtloser, desto aufsehenerregender. Und wer zudem noch glaubt, Kommunikation sollte einen Sinn haben, kann sich in Hannover gänzlich desillusionieren lassen. „I will travel to Bejing by train“, tippt zum Beispiel ein chinesischer Computerexperte auf seinen bunten Bildschirm und ergänzt dann, „but I should rather take a taxi.“ Dem Computer ists egal, welche Folgen eine solche Fahrt in Chinas Hauptstadt für das Taxameter hätte, er rechnet stur drauflos und präsentiert in Sekundenbruchteilen eine chinesische Übersetzung des englischen Unsinns. Die Messegäste staunen, wie schön der Bildschirm, Marke „Great Wall“, chinesische Silben malt.
Unterdessen drückt sich Kanzler Kohl zwischen Pressefotografen am IBM-Stand durch. „Zukunft und Zuversicht“, auf diese „zwei Begriffe“ wollte der Pfälzer in seiner Eröffnungsansprache am Dienstag abend das Motto der CeBit bringen. „In atembe
raubender Vielfalt“ seien „modernste Technologien“ zu sehen. Daß es nun eher die Scheinwerfer des Fernsehens sind, die dem Kanzler zwischen IBM-Computern den Atem rauben, wer hätte das vorhersehen sollen. 200 Seiten auf Salmiak-Größe
Wirklich Neues gibt es nämlich in Hannover nicht vorzuzeigen. Zwar werden die Geräte immer kleiner, schneller und bunter. Aber wer wundert sich schon noch über einen salmiak-großen „4-Megabit-Chip“, in dem sich in
Millisekunden alle Buchstaben eines 200-Seiten-Buchs abspeichern lassen. Und vor extravaganten Erfindungen wie z.B. dem „Schuhtelefon“, das ein US-amerikanischer Aussteller präsentiert, schützt uns noch immer die Bundespost: Keine FTZ-Nummer, „nur für den Gebrauch im Ausland bestimmt“, heißt es dann im Kleingedruckten auf der Geräterückseite.
Gähnende Leere herrscht an den Ständen des CeBit -Schwerpunkts „Business with India“. Die Messe-Massen drängeln sich lieber an die Bratwurst-Buden
oder um den Geha-Stand. Dort werden bunte Text-Marker verteilt. Auch an einem der 19 Bremer Tische wartet eine Gruppe auf Auskunft. Das „Bremer Rechenzentrum“ präsentiert dort - wie könnte es im Land der Kohl-und-Pinkel-Fahrten anders sein - ein elektronisches „Informationssystem für Vereine“.
Einige Jugendclubs sind allerdings schon bedient. Sie stellen auf der Messe ihr eigenes System vor. Die Kommunikationsgeschwindigkeit ist einheitlich auf 300 Zeichen pro Sekunde festgelegt, Teilnahmevoraussetzung: Ein
Computer mit Akustik-Koppler fürs Telefon. So ausgerüstet wird Schach gespielt, Schiffchen versenkt oder einfach geblödelt - digital, versteht sich. Uniformierte PfadfinderInnen haben das Spiel „Junge helfen Alten“ beigesteuert.
Wichtige Erwachsene können es jetzt jederzeit in ihrer Jacke piepsen lassen. Mit dem „City-Ruf“ von Siemens sind sie von jedem Telefon aus anfunkbar. Stimmen Nummer und Code, fängt der kleine Pieper an zu tönen, um seinen Besitzer an die Arbeit oder den Mittagstisch zu rufen. Wem der Apparat nebst Postanmeldung zu teuer ist, kann sich für ein paar Mark auch einen Piepser ohne Funkkontakt in die Tasche stecken. Auf Wunsch macht der dann auch original Science-Fiction-Geräusche.
Zur Rückfahrt nach Bremen ist der Bahnsteig wieder voller hellgrauer Trenchcoats. Nur die schwarzen Aktenköfferchen quellen jetzt über. Doch wer sich angesichts von Multivisionen, Telekommunikation und Prospektflut am Ende wie Goethes Zauberlehrling fühlt, für den gibt es auf der Messe ein „Besen, Besen, seis gewesen“: Eine ganze Aussteller-Abteilung wirbt für elektrische Datenvernichter. „Wir lassen Sie nicht auf Ihren Akten sitzen“, lautet die hoffnungsfrohe Botschaft einer Traditionsfirma in diesem Metier, „Reißwölfe sind überall“. Ein Glück.
Dirk Asendorpf
Die CeBit dauert noch bis zum 15. März.
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