: Grau
■ „Warten auf Godot“ vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus
Eine Stadt als Bühnnenbild. Elegant geschwungen umgrenzt die Betonmauer den Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Aber sie ist grau. Das Pflaster, das sternförmig auf einen Gulli in der Mitte des Platzes zuläuft. Grau. Die Fassaden der eintönigen Bürogebäude gegenüber. Aschgrau. Und selbst die Wasserlachen, die das Licht der Scheinwerfer einfangen, glänzen nicht richtig, sie schimmern nur matt. Was sollen sie auch anders widerspiegeln als die Unwirtlichkeit dieser Stadt.
Im Zentrum des Lichtkreises liegt ein Lkw-Reifen. In ihm kauert ein Mann. Die Entsprechung seiner Umgebung. Er steckt in einem verschlissenen schwarzen Anzug und trägt schwarze Handschuhe ohne Finger, dazu einen Hut, und der ist grau. Es sieht so aus, als warte er darauf, bis ein uniformierter Lakai von der Pforte des weiß getünchten, strahlend angeleuchteten Theaters nach draußen zu ihm in die Kälte eilt und ihn, das Bündel Elend, auffordert, zu verschwinden. Aber nichts rührt sich, denn der Mann sitzt jeden Abend in seinem Autoreifen und wartet. Und jeden Abend, bei Regen, bei Wind und bei Kälte, wenn er dann den Stiefel von seinem geschwollenen Fuß gezogen hat, steht er mit einem Kumpanen in der Mitte des Platzes, blickt um sich und sagt zwei Worte: „Lauschiges Plätzchen.“ Estragon dreht sich um, geht aufs Publikum zu und sagt nur zwei Worte. „Heitere Aussichten.“ Und dann an Wladimir gewandt: „Komm, wir gehen.“ Das geht nicht. Sie warten auf Godot. Vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus.
Wer das triste Grau des Theatervorplatzes gesehen hat, weiß, warum Fred Berndt seine Inszenierung von Becketts Warten auf Godot ins Freie verlegt hat. Nicht die Landstraße, die Beckett sich vorgestellt hatte, die Steinwüste der Stadt drückt für den Regisseur am ehesten die Orientierungslosigkeit aus, die sich durch das Stück zieht. „Nichts ist sicher bei Beckett“, sagt Berndt, „deshalb darf es nie eine Deutung geben.“
Schon die Wahl des Spielortes ist pure Interpretation. Denn die Worte des Stückes erhalten einen zusätzlichen Sinn. War Estragons Ausruf am Schluß des ersten Aktes - „Nichts geschieht, niemand kommt, niemand geht, es ist furchtbar!“ Ausdruck der Leere, die durch die Landschaft optisch unterstrichen wurde, erhält das Nichts in Düsseldorf eine inhaltliche Ausfüllung, die alle Beteuerungen der Werktreue Lügen straft. Das Rauschen des Verkehrs, die wuchtige Präsenz des Betons verkehren die Absurdität des Handelns im zeitlosen Raum bei Beckett in die Uniformität grau-samer Architektur.
Das Spiel mit dem Abbild der Stadt zerstört beim Betrachter das innere Bild von der Leere. Die Ironie des lauschigen Plätzchens, nicht durch die Vorstellungskraft herbeigedacht, sondern prall und doch so platt vor den Augen der Zuschauer zum augenscheinlichen Kalauer aufbereitet. Die Stadt als Bühne nimmt dem Stück viel und gibt sich selbst etwas, was sie gar nicht verdient: Dieses Unglück von Städtebau taugt immerhin als Kulisse.
„Unser Wunschtraum ist eigentlich, daß es schneit zur Premiere, aber darauf ist nicht zu hoffen“, sagt Heinz Werner Kraehkamp, der den Wladimir spielt, und drückt damit aus, daß hier das Publikum ein wenig genasführt werden soll. Zwar ist der Zuschauerraum überdacht, aber nicht mehr als durch eine Tribüne aus Stahlrohr und Plastikplanen, die bei jedem Windstoß furchterregend gegen die Traversen knallen. Zugig ist es und kalt, da helfen auch nicht die Kissen auf den spartanischen Holzbänken ohne Rückenlehne. „Komm. Es wird kalt“, wird Wladimir am Ende zu Estragon sagen, als der Junge ihnen ausgerichtet hat, daß Godot heute nicht mehr kommt. Ein Hohn für die Premierengäste, die in feiner Theatergarderobe schon seit Beginn der Aufführung im Freien frieren. Eine genüßliche Vision für die Schauspieler, die jeden Abend zwei Stunden draußen spielen, beseelt von dem Gedanken auf den warmen Grog nach der Probe und dem Bewußtsein, das saturierte Publikum möge einmal leibhaftig spüren, was Warten heißt. Warten auf das Ende einer Vorstellung.
Christof Boy
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen