: Nicaragua plant interozeanischen Kanal
Japanische Ingenieure und Unternehmer erwägen Alternative zur Erweiterung des Panamakanals / Nicaragua erhofft sich vom Projekt einen Wirtschaftsaufschwung / Zivile Nutzung des Wasserwegs / Statt Militärbasen sollen Freihandelszonen den Kanal flankieren ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Nicaraguas Präsident Jose Santos Zelaya wurde auf Betreiben der USA gestürzt, als er es wagte, seine Fühler nach Japan auszustrecken. Man schrieb das Jahr 1908, als der liberale Reformist in Managua seinen Botschafter in Paris anwies, „mit größter Vorsicht und Diskretion“ in Tokio zu sondieren, ob Interesse an einem Kanalbau in Nicaragua bestehe. Auch bei Kaiser Wilhelm in Berlin ließ Zelaya anfragen. Der Plan war, einen interozeanischen Kanal mit Kapital aus aller Welt zu bauen. Denn die USA hatten 1901 einen Vertrag abgelehnt, der ihnen zwar die Kanalbaurechte zusicherte, die Exterritorialität des Wasserweges aber ausschloß. Inzwischen hatte sich in Washington die Panama-Lobby durchgesetzt, und am Durchstich wurde bereits gearbeitet. Ein Konkurrenzunternehmen in Nicaragua mußte für die Vereinigten Staaten eine offene Herausforderung bedeuten. So kam es, wie es kommen mußte: Der Geheimdienst der USA bekam Wind von den Plänen Zelayas und schlug Alarm. Der Präsident, der Washington wegen seiner nationalistischen Politik schon lange ein Dorn im Auge war, mußte 1909 den Hut nehmen, und die Marines marschierten in Nicaragua ein.
Achtzig Jahre später hält die sandinistische Regierung nun den Zeitpunkt für gekommen, die Pläne für einen Kanal wiederzubeleben. In diesen Tagen prüft eine Delegation aus japanischen Wissenschaftlern und Unternehmern die Bedingungen für den Bau eines Wasserweges. Bedarf ist gegeben, denn der 75 Jahre alte Panamakanal ist nur für Schiffe von maximal 50.000 Tonnen passierbar. Viele Ozeanriesen müssen heute immer noch den Umweg über das stürmische Kap Horn nehmen, um vom Atlantik in den Pazifik zu gelangen.
Der neue Kanal müßte also ein Vielfaches breiter sein als der alte. Vizepräsident Sergio Ramirez, der den asiatischen Gästen die volle Kooperation Nicaraguas zusicherte, sprach von Plänen, die die Durchfahrt von Schiffen bis zu 500.000 Tonnen ins Auge fassen. Nicaraguas Geographie (siehe Karte) bietet sich für einen interozeanischen Kanal geradezu an. Es reicht schon, die knapp 20 Kilometer breite Landenge zwischen dem Pazifik und dem Nicaraguasee zu durchstoßen. Dann könnten die Schiffe über den See und den Rio San Juan in den Atlantik fahren. Doch anders als in Panama, wo der Wasserstand mit einer Serie von Schleusen gehoben und wieder gesenkt wird, visieren die Nicaraguaner einen modernen Kanal auf Meeresniveau an. Das technische Problem, daß der Nicaragua-see 34 Meter über dem Meeresspiegel liegt, läßt sich auf verschiedene Weise lösen: Durch das Absenken des Wasserspiegels würde man zwar riesige fruchtbare Ackerflächen gewinnen, gleichzeitig aber unabsehbare ökologische Risken eingehen. Die japanischen Ingenieure denken daher daran, die Wasserrinne parallel zum See zu führen.
Die Regierung in Tokio zieht den Neubau eines Kanals in Nicaragua einer Erweiterung des Panamakanals vor, erklärte der Delegationsleiter Professor Yasunobu Somura von der Universität Tokio am Samstag nach einem Gespräch mit Sergio Ramirez. Seit Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Panama und den USA hat die gemischte Kommission, die die Kanalerweiterung mit US- und japanischem Kapital studierte, ihre Arbeit suspendiert.
Nach den Vorstellungen Nicaraguas soll der Wasserweg ausschließlich der zivilen Schiffahrt dienen. Statt von Militärbasen soll der Kanal von Freihandelszonen flankiert werden. Für die zerstörte nicaraguanische Wirtschaft könnte das Projekt ungeahnte Impulse bedeuten, ähnlich wie die Erweiterung der Freihandelszone Colon in den siebziger Jahren Panama einen Boom beschert hat.
Der japanische Architekt Kozo Yamamoto hält es für möglich, daß in ein bis zwei Jahren konkrete Pläne für die Realisierung des ehrgeizigen Projektes vorliegen. Die Nicaraguaner wollen eine internationale Kanalgesellschaft gründen und Kapital aus aller Welt zur Beteiligung einladen
-mit 51 Prozent Eigenbeteiligung. Wenn alles nach Plan verläuft, könnte noch vor Ende des Jahrhunderts der erste Ozeanriese die Meerenge durch den Nicaragua-kanal kreuzen.
Auf scharfe Kritik stießen die hochfliegenden Pläne in Costa Rica, das auf seine Schiffahrtsrechte auf dem Rio San Juan pocht. Tatsächlich sichert der Canas-Jerez-Vertrag aus dem Jahr 1858 den südlichen Nachbarn Navigationsrechte, aber der gesamte Verlauf und das Delta des Grenzflußes, der den Nicaragua- see mit der Karibik verbindet, gehört Nicaragua. Ramirez lenkt ein: „Nicht nur Costa Rica, sondern alle Länder der Welt werden das Recht haben, den Kanal zu benützen.“
Nach Schätzungen brasilianischer Experten, wird mit Investitionen von 20 bis 25 Milliarden Dollar für das Kanalprojekt gerechnet, die sich aber durch den preiswerteren Transportweg in vier bis fünf Jahren amortisieren könnten. Mit 220 Kilometern wäre der Nicaraguakanal fast dreimal so lang wie der durch Panama.
Das Projekt, durch Nicaragua eine Verbindung der Ozeane zu schaffen, ist so alt wie die europäische Besitzergreifung von Zentralamerika. Doch erst als 1848 in Kalifornien der Goldrausch ausbrach und Tausende Abenteurer von der Ostküste der USA in den Westen strömten, wurde die Route durch Nicaragua wirtschaftlich interessant. Der New Yorker Tycoon Cornelius Vanderbilt organisierte ein florierendes Transportunternehmen, das über Greytown (heute San Juan del Norte) an der Atlantikmündung des Rio San Juan über den Fluß und den Nicaraguasee bis Granada und von dort per Kutsche zum Pazifikhafen El Realejo führte, wo die Schiffe nach San Francisco warteten. Damals lagen Großbritannien und die Vereinigten Staaten im Streit um den Einfluß in der Region. 1859 einigten sich die Großmächte im Clayton-Bulwer-Vertrag, einen eventuellen Kanalbau vereint anzugehen. Die Regierung von Nicaragua um ihre Meinung zu fragen, hielten sie nicht für nötig. Nun wollen die Nicaraguaner zum erstenmal selbst über die Zukunft ihres Territoriums entscheiden dürfen.
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