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„Amerikas größter Prokonsul“

John McCloy, ehemaliger US-Hochkommissar in Deutschland, starb mit 93 Jahren  ■ P O RT R A I T

Aus Washington Stefan Schaaf

Der Autor David Halberstam prägte den Begriff „The Best and the Brightest“ für sie - jene Riege von US-amerikanischen Intellektuellen, die die Außenpolitik der Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg stärker geprägt haben als die Präsidenten, die wir mit dieser Epoche viel eher verbinden. John McCloy, der scherzhaft „Vorsitzender des amerikanischen Establishments“ genannt wurde, gehörte mit Sicherheit zu diesem illustren Kreis, dem die Welt unter anderem den kalten Krieg, die Nato und den Vietnamkrieg zu verdanken hat. Kaum jemand hat mehr Präsidenten beraten als er: Die Reihe reicht von F.D.Roosevelt bis Ronald Reagan. Keiner hat mehr Kabinettsposten ausgeschlagen, um eine Rolle als einflußreicher Privatmann spielen zu können, als John McCloy.

Seine politische Laufbahn begann während des Zweiten Weltkrieges im US-Kriegsministerium unter Henry Stimson. Es war McCloy, der die Bombardierung der faschistischen Vernichtungslager ablehnte. Der beste Weg, die Lager zu beseitigen, sagte er jüdischen Vertretern im Weißen Haus, sei, den Krieg zu gewinnen. McCloy wurde in jener Zeit der Pentagon-Spezialist für „zivile Angelegenheiten“ - mit anderen Worten: für die Bevölkerung besetzter Länder. 1949 brachte ihm dies den Posten des US-Hochkommissars für Deutschland ein, wo ihm seine Vorgesetzten freie Hand ließen. Als er Präsident Truman einmal um Instruktionen ersuchte, antwortete der ihm: „Ich habe Sie schließlich dorthin geschickt, um das Land zu verwalten, und Sie machen gute Arbeit. Sie hören erst dann von mir, wenn dies nicht mehr der Fall ist.“ Seine unbeschränkte Macht hielt ihn nicht davon ab, politische Entscheidungen in Adenauers Hände zu übertragen und so die Bundesrepublik in das westliche Machtgefüge hineinzuziehen. Er schränkte die Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher ein und sorgte für heftige Proteste selbst in seiner amerikanischen Heimat, als er 1951 die Freilassung Alfred Krupps anordnete, der wegen des Einsatzes von Sklavenarbeitern zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war.

Doch seine schwierigste Aufgabe war, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik politisch zu verkaufen. Er hielt sie für unabdingbar, um Westeuropa zu einem Bollwerk gegen den Ostblock zu machen. Letzten Endes war es der Koreakrieg, der die Zweifler in Washington und anderen Hauptstädten zum Einlenken veranlaßte. McCloys Traum, gar eine europäische Armee zu bilden, scheiterte jedoch. Statt dessen wurden getrennte nationale Streitkräfte unter dem Banner der Nato zusammengefaßt. John McCloy, laut Lyndon B. Johnson „Amerikas größter Prokonsul“, starb am Freitag im Alter von 93 Jahren.

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