: Kein Land in Sicht
Zur Lage der Union ■ K O M M E N T A R
Wenn es einen Moment gibt, in dem die Panik greifbar wird, dann ist er bei der CDU mit der Hessen-Wahl erreicht. Das Schiff säuft ab, und Land ist in keiner Richtung in Sicht. Nicht festes Vertrauen in den Steuermann, sondern nur noch nackte Angst hält die Partei zusammen.
Die Bilanz ist deprimierend, Aussicht auf Wetterbesserung besteht nicht. Am schlimmsten für die CDU/CSU ist nicht einmal, nach Berlin wiederum eine Wahl verloren zu haben; das schlimmste ist, daß immer noch keine innerparteiliche Einigkeit darüber vorhanden ist, warum sie verliert. Geissler kann nun erneut erklären, die Rechten zu beackern bringe nichts, und die Stahlhelmfraktion kontert unverdrossen, man habe nur zu spät begonnen, rechtsaußen Klartext zu reden. Nicht einmal die Hoffnung hat die Union, das Ärgste läge hinter ihr. Wenn selbst Kommunalwahlen Abstimmungen über die Bonner Koalition sind, dann wird die kommende Europawahl zur vorgezogenen Bundestagswahl. Und die Aussichten für die vier Landtagswahlen im nächsten Jahr sind niederschmetternd. Töpfer muß auf Kanzlerbefehl das Selbstmordkommando gegen Lafontaine im Saarland antreten, Gesundheitsfrankenstein Blüm wird in Nordrhein-Westfalen bei Rau unter die Räder kommen. In Niedersachsen zittert Albrecht um eine Mehrheit von einem Mandat, und die Bayern müssen zum ersten Mal ohne Strauß antreten.
Eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl läuft der Union die Zeit weg. Die zeitgeistige Pragmatik der angeblichen Wende hat ihren Zauber endgültig verloren. Im Gegensatz zur neuformierten SPD hat die Union kein umfassendes Programm, sondern nur noch tagesaktuelles Gewurstel anzubieten. Die CDU betreibt hektische Schadensbegrenzung und wird dennoch den schwarzen Peter nicht mehr los. Ob bei der Gesundheitsreform oder bei den Tieffliegern, der in der Bevölkerung konstatierte Kompetenzverlust ist dramatisch.
Diese Niederlage ist verheerend, und kein Arsch ist breit genug, um sie auszusitzen. Mit einer Personaldebatte, mit dem Wechsel von Kohl zu Späth aber ist es nicht getan. Der Austausch der Kühlerfigur ist solange sinnlos, wie die Partei nicht weiß, ob sie einen Späthschen Kurs der gesellschaftlichen Modernisierung überhaupt mittragen möchte.
Nicht nur Kohl hat an Statur verloren, verschlissen ist das gesamte Personalangebot der CDU. Die Fertigkeit Kohls, mögliche Konkurrenten auf unauffälige Weise zu ducken und aus dem Rennen zu werfen, macht nun die besondere Schwäche der CDU aus: Außer dem schwarzen Riesen gibt es nur eine Schar von Zwergen. Die CDU/CSU wird auch keine Hilfe aus dem gemischten Doppel mit der FDP erwarten dürfen. Längst nicht mehr hoch auf dem gelben Wagen, sondern bis zum Hals in der Scheiße wird sich der Partner darauf verlegen, um jeden Preis Profil und Härte zu zeigen, um nicht völlig unterzugehen. Ergebnis: Die Union wird es noch schwerer haben, „ihre“ Politik im Regierungsbündnis deutlich zu machen.
Zweifellos aber werden diese düsteren Perspektiven das innerparteiliche Geschrei der nächsten Wochen noch anheizen. Davon, das Ruder in Ruhe auf neuen Kurs zu setzen, wie es vor Hessen noch mühsam vereinbart wurde, kann keine Rede mehr sein. Die Stille vor Hessen erscheint nachträglich als Atemholen für das sich anhebende Gebrüll.
Auch der Spagat, die Wähler in der Mitte ebenso wie am rechten Rand binden zu wollen, wird zur Zerreißprobe. Je stärker man am rechten Rand das braune Hemd heraushängen läßt, um so heftiger wird es beim liberalen Wählerpotential bröckeln. Mehr noch: Gerade aus der von Kohl konseqeunt betriebenen europäischen Intergration hin zum Binnemarkt erwächst der Union die Gefahr, nun mit Fremdenfeindlichkeit die nachdenklichen, bildungsbeflissenen und mittelständigen Konservativen zu verscheuchen, die ein gemeinsames Haus Europa positiv besetzen. Die Klemme, gleichzeitig postkapitalistische Programmatik und braune Ladenhüter verkaufen zu wollen, wird hier besonders deutlich. Rechtsradikale Wähler werden sich auf Dauer nur mit rechter Programmatik binden lassen; eine bundesweite Ausdehnung der CSU bekommt dadurch eine Plausibilität. Auch wenn das derzeit kein Thema bei den Schwestern sein soll; es wird eines, das ist gewiß.
Gerd Nowakowski
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