: Kuh- und Frauenforschung
■ Die Künstlerin Angela Kling wagte ungewöhnlichen Zugang zur Gen-und Reprotechnik / Moderne Hochleistungskühe und jahrtausendealte Frauenfiguren
Die Referentin lebt auf einem biologischen Bauernhof und ist Künstlerin, mit besonderer Vorliebe für alte Frauenfiguren aus allen Kontinenten („Stichwort 6.000 vor Christus“). Diesen divergierenden Interessen entsprechend wählte Angela Kling zwei denkbar unterschiedliche Zugänge, um Frauen an „Fruchbarkeit und Reproduktion“ heranzuführen: Moderne Hochleistungskühe und jahrtausendealte „kleine, dicke Göttinnen“.
Zweieinhalb Jahre lang hat Angela Kling „jeden Tag zwei Mal dreißig Kühe gemolken“ und gefüttert. Und notgedrungen hat die Gentechnik-Gegnerin die Brunst ihrer säugetierischen Schwestern genau überwacht: „Ob auf einem biologischen Hof oder auf einem normalen: Die Brunstkontrolle ist das A und O.“ Schließlich soll jede Kuh möglichst viel Milch geben, und das tut sie nur, wenn sie ein Kalb nach dem nächsten zur Welt bringt. Spätestens drei Tage nach der Geburt wird der protestierenden Kuh-Mutter das Kalb weggenommen und durch eine Melkmaschine ersetzt. Und spätestens drei Monate nach einer
Geburt muß die BäuerIn „rauskriegen, wann bullt die Kuh wieder“, d.h. in welchen Eisprung-Stunden muß die Kuh für den Deckbullen festgebunden oder künstlich befruchtet werden. Angela Kling: „Das größte Problem in Kuhställen ist die Unfruchtbarkeit.“ Schicksal einer unfruchtbaren Kuh: „Abgang“.
Überwachung des Zyklus, künstliche Befruchtung, Unfruchtbarkeit - mit diesen Stich
worten ist die Parallele zwischen Kuh und Frau Ende des 20. Jahrhunderts noch lange nicht beschrieben. Denn „Embryo -Transfer-Stationen“ bieten ihre Dienste an. Sie verfügen über große Herden von Leihmütter-Kühen, deren Zyklus durch Hormone mit denen bestimmter Mutterkühe synchronisiert wird. Die KundIn kann mit ihrer Hochleistungs-Mutterkuh kommen und eine bestimmte Anzahl von Nach
kommen bestellen. Der Mutterkuh werden nach einer „Superovulation“ die befruchteten Eier herausgespült, die Embryonen geteilt und der Leihmutter „Trägerkuh“ eingepflanzt. Ihre Kälber bekommen den Beinamen E.T. „Embryotransfer“.
Auf Dias zeigte die Referentin die 10-Jahresfeier einer „E.T.-Station“, von der Gynäkologen gelernt haben. Die Dias zeigen tatkräftige Männer im weißen Kittel, die an bedauernswerten Kühen - auf dem Rücken liegend, die Beine gespreizt und festgebunden - ihre repro-technischen Operationskünste vollführen. Den Kontrast zu diesen brutalen „Reproduktions-Dias“ bildeten Fruchtbarkeitsgöttinnen, die einst in Agrargesellschaften die „heilige Hochzeit von Körper und Geist“ symbolisierten. In Menstruationsriten, „Wochenbettgelagen“ und Frühlingsfesten hatten Frauen gemeinsam den Zyklus der Fruchbarkeit bewältigt. Die Bilder erweckten die Sehnsucht nach Frauen-Gemeinschaft - und nach den schönen, ranken Kühen aus der Kindheit.
Barbara Debus
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