: Sehnsucht nach Zerstückelung
■ „Die Collage“, das Ausdrucksmittel der Kunstfeinde, Schnipselsammler und Allzweckkleber / Billig, leicht zugänglich, schnell, realitätstüchtig und gemein /Eine Ausstellung in der schicken Remberti-Galerie
Einer der wenigen wirklich bedeutenden Einfälle in der Geschichte der Kunst dieses Jahrhunderts ist die Collage, die Idee, die abzubildende Wirklichkeit nicht mehr wie gehabt einfach abzubilden, sondern Elemente dieser Wirklichkeiten in natura in ihre Bilder zu integrieren. Überzeugend am Griff zu Schere und Uhu-Tube ist die Möglichkeit, schon im Material die Vielschichtigkeit einer sich immer komplexer zeigenden Welt aufzugreifen.
Während auf den verschiedensten Feldern empirischer Erkenntnis die verschiedensten Wahrheiten gedeihen, die sich gegenseitig ausschließen und deshalb nicht weniger wahr sind; während die knappe Vorstellung
einer Wirklichkeit zerfällt, erfinden sich die Bildenden Künste ein Mittel, verschiedene Wirklichkeiten in einem Werk zu verbinden: die Collage und das Ready-made, ihre skulpturgewordene Nebenform.
Die Collage entsteht also in einer Phase, in der die Programme der Moderne, die Aufklärung, die Versuche, die Welt aus nur einem Erzählstrang zu erklären, in die Krise geraten, sie ist der künstlerische Versuch, diese Krise zu greifbar zu machen. Die Collage ist also eine Form der aufgeklärten Aufhebung der Moderne, ein Konzept, das die zeitgenössische Kunst bis in unsere Tage elementar bleibt.
Erfunden, das heißt in den
Rang der Kunst, was auch immer das sei, gehoben haben die Collage Braque und Picasso in ihrer kubistischen Phase des beginnenden 20. Jahrhunderts, doch gibt es Vorläufer des Gedankens schon früher, in der Kunst, in der Literatur, überall da, wo sich ein Krokodil und ein Bügeleisen auf dem Seziertisch begegnen. Aufgegriffen haben die Idee alle Kunstkonzepte, die abrücken vom spießbürgerlichen Kunst -kommt-von-Können-Ideal, die Dadaisten, Surrealisten, Kunstzerstörer, Bürgererschrecker und wie ihre Nachkommen noch so heißen.
In Bremen zeigt nun die schmucke, kleine Remberti-Galerie eine Sammelausstellung, in der sich rund 90 Werke von Groß
meistern der Collagekunst versammeln, um miteinander zu sprechen anzufangen. „Ich bin ein kleiner Ernst“ haucht es schüchtern aus der Ecke, und von der Wand dröhnt ein Berman zurück, „Was? Rede doch lauter, gefälligst.“ Ein schüchterner Hannah Höch sagt gar nichts und über allem thront in der Sonne seiner Prominenz der Duchamp. Merkwürdig fühlt es sich an, diese Bilder zu sehen, altbekannt (zum Teil), so nah wie noch nie und dabei so entrückt, wie sich kaum vorstellen läßt von einer Kunst, die einmal vorgehabt
hatte, diese Form von Sakralisierung mit Füßen zu treten. Zum Verkauf hängen sie hier, die teuren (auch ganz ohne Geld) Schätze, zum Verkauf, weil wer Kunst ausstellt trotzdem essen muß. Und deshalb ist daran nichts verwerflich, wenn ein Schwitters nicht unter 55000 zu haben ist. Nein, tadeln will ich das nicht, doch schafft es eine Distanz, entfremdet die Kunst sich selbst, macht sie zum Markt, zur Mark, so schön wie ein Bündel abgegrabbelter Fünfziger. Und wer die kauft, ist entweder Banker oder bekloppt.
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