: Freud im Leid - ein Couchmißbrauch
■ Liebe zwischen Analytiker und Patientin - das kann nicht gut gehen Eine Anonyma verfaßte die Niederschrift ihrer „Verführung auf der Couch“
Verführung auf der Couch ist die Niederschrift eines Abenteuers. Sie beschreibt den Weg einer anonymen Analytiker -Geliebten in die extreme Abhängigkeit vom „angebeteten, allerschönsten, allerteuflischsten Mann“ und dann den Kalvarienberg wieder runter. Bei allen Exstasen erfährt die Leserin nur wenig.
Wer nun ist dieser „latin lover“ mit Frau, drei Kindern, zwei Autos und eleganter Praxis? Der Verführer. Wer ist sie, die Leidgedrückte mit Haus, Garten, Terrasse, Putzfrau, drei Burmakatzen, einem Hund und einem Auto? Die Verführte. Sie kann/konnte gut Ski fahren, tanzen (Tango) und übersetzen. Auf Seite 78 erfahren wir, daß sie eine Tochter hat, von zwei ungeborenen Kindern später.
Selbst ständig Kind, liebt sie die Farbe Rosa, rosa Rosen, rosa Tulpen, trägt ein Nachthemd aus rosa Seide und bekommt von ihrem Freund Bernard, einem Werbeagenten, ein Abendkleid aus rosa Satin, rosa Rosen bodenständig und glückverheißend in Basel, rosa Rosen hoffend auf dem Auto des Analytiker -Geliebten in Paris. Seine volle Bedeutung entfaltet das Rosa des geliebten Analytiker-Hemdes, das sie vorsichtig, um sich spähend, aus dem Auto stiehlt. Ein Traum. Die Deutung des Besitzers: „Ich weiß, daß Sie sich schon eine ganze Weile mit meinem Penis beschäftigen.“
Sie lebt „nach einer Uhr, die noch so ging wie die Uhr zur Säuglingszeit“, ganz nach der Freudschen Urkombination Vater, Mutter, Kind, die bis zum Tode hält, auch wenn die Protagonisten austauschbar sein mögen, schlicht rosa und nicht auf rosa Wolken.
Blutrote Mutter, das Drama hat alle Prämissen erfüllt. Da gibt es den Vater, das Vorbild ihrer Liebhaber, dessen Liebe zu gewinnen erfolglos bleibt. Die Stiefmutter ist häßlich und böse, betrügt das Kind um sein Erbe. Schuldlos schuldig, doch kommt der Inzest noch. Denn die Psychoanalyse bietet den Ausweg, zumindest in der Erinnerung, alles zu sein, wie immer. Der Analytiker ist Mutter und Vater zugleich. Zwar schläft er manchmal ein, doch das macht ihn liebenswert.
Mütterlich ist die Übertragung, in der Beziehung zum Analytiker-Geliebten wird diese „gefürchtete Urnähe“ wieder frei. Er hat sie verführt, aber vielleicht ist es vielmehr die Verführung durch die Mutter. „Er hat nicht die Frau verführt, er hat das Kind vergewaltigt.“ Dann ist es wieder anders: „Er hat mich verführt, ich habe ihn kastriert, habe ihm seinen psychoanalytischen Penis weggenommen, seine berufliche Identität, das Zentrum seiner erwachsenen Persönlichkeit angegriffen.“ Hätte sie nur.
Das Buch der Anonyma ist eigenartig und lesenswert, denn es taugt wie kein anderes zu zeigen, wie sehr man auf die Schnauze fallen kann. Das, was die Autorin erlebt hat, fünf Jahre Gefängnis, zehn Jahre Verlust, Krisen, Zusammenbrüche, Ohnmacht, die tägliche Angst zu sterben, sind nicht von Pappe. Immerhin: „Ich denke nicht, daß ich mich in meinen Psychoanalytiker verliebt hätte, wenn ich ihn unter anderen Umständen kennengelernt hätte“, denn „mich hat die Psychoanalyse dazu getrieben, bei meinem Psychoanalytiker den Kopf zu verlieren“.
Nur: Wieso geht sie dann regelmäßig zu ihm? Anfangs mochte sie ihn nicht, und später ist es dann zu spät, denn „Psychoanalytiker vergleicht man nicht mit Männern dieser Welt“. Analyse und Liebe gleichzeitig stiften Verwirrung, und die Verletzung des analytischen Pakts führt zur Kettenreaktion auf Kosten der Patientin. Zwar könnte die erstaunte Leserin fragen, wer bei diesem angeblichen Inzest mit wem schläft. Vater, Mutter und Kind kommen in Frage oder vielleicht doch die Psychoanalyse selber?
Die Parallele zu Patricia Hearst ist reichlich gewagt, man sollte bei realen Abenteuern unterscheiden, ob man auf sie selbst eingeht oder nicht. Schrank oder Couch. Wie muß die Arme durchgeritten worden sein, bevor es das Extrabett im Nebenzimmer gab? Immerhin, Freud im Leid.
Brigitte Claassen
Anonyma: Verführung auf der Couch. Kore-Verlag, Freiburg 1988. 20 DM
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