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Lachs gegen Leberkäse

■ „Geld“ - die nächste Komödie von Doris Dörrie

Lutz Ehrlich

Man kann ihr viel vorwerfen - zum Beispiel, daß sie schlechte Filme macht - aber eins nicht: Daß sie zu wenig Filme macht. Kaum, daß ihr arg verunglücktes Dödel-Drama Ich und er in den letzten Provinz-Kinos angekommen ist, legt sie gleich ein paar Rollen nach - diesmal Kleingeld, denn der Ausflug nach Amerika ist ihr ebensowenig bekommen wie weiland Wim Wenders. Jetzt ist auch sie wieder da, noch dazu geläutert, denn jetzt weiß sie, daß sie lieber kleine Filme macht, die aber so, wie es ihr gefällt.

Und Komödien mag sie schon länger, als diese in Mode sind. Nach den Männern und ihrem kleinen Unterschied streift nun ihr Blick durch den deutschen Alltag und bleibt in einer Münchner Vorortsiedlung hängen. Von ferne läßt ein Kernkraftwerk grüßen, dann kommt viel Nichts, und plötzlich knubbelt es sich: Dicht an dicht stehen da die steingewordenen Träume vom Eigenheim des deutschen Spießers. In einem dieser Reihenhaus-Gefängnisse residiert Familie Müller - die deutsche Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern und Ratenzahlungsverpflichtungen, die allmählich dringend werden. Neidisch fällt da schon am Frühstückstisch der Blick der Müllers auf die vollverglaste Rustikal-Villa gegenüber, die von einem in ihren Augen exzentrischen Yuppie-Pärchen bewohnt wird. Also: Arm und häßlich gegen reich und schön. Die zwei Welten müssen nur noch aufeinanderstoßen. Das geschieht auch, denn der schöne Herr Fuchs ist zufällig Filialleiter der Bank, die Frau Müller überfällt. So wird er ihre Geisel.

Während Frau Müller ihn erst in ein Luxushotel und anschließend auf einen Campingplatz im Allgäu entführt, sucht Fuchsens Freundin Gabriele Trost - natürlich bei Herrn Müller. Abenteuerlich genug, aber es kommt noch doller: Die Feinen und die Fiesen finden Gefallen aneinander und erstellen mittels Computer-Hackereien einen Sanierungsplan für die maroden Müller-Finanzen. Und wenn Geld nicht stinkt, dann leben alle heute noch redlich in ihrem Vorort.

Die Story klingt unglaublich, und wenn sie trotzdem funktioniert, dann deshalb, weil Frau Dörrie erkannt hat, daß die Wahrheit nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar ist. Natürlich würde eine Frau Müller im wirklichen Leben ihre Geisel nicht einen Meter aus der Bank rauskriegen, und wo - bitte schön - hat Frau Müller den Revolver her? Aber darum geht es gar nicht, nicht um den genialen Coup und nicht um ein raffiniertes Hacker-System, sondern um zwei völlig verschiedene Welten und deren jeweilige Sicht von der anderen.

Also der Neid der Normalen auf die Schönen, der Schönen auf die Normalen und mittendrin Müllers Kinder. Das klingt schon plausibler, ist aber dennoch nicht ganz einfach umzusetzen, denn die Ikonographie des deutschen Spießers findet heutzutage in der „Lindenstraße“ statt - das hat Frau Dörrie schon richtig erkannt. Sie wollte dessen wahres Wesen ergründen, und das läßt sich nur durch gnadenlose Übertreibung bloßlegen. Also steckt sie zwei Schauspieler in die Hauptrollen, die sonst immer die Unangepaßten spielen mußten: Billie Zöckler und Uwe Ochsenknecht als Frau und Herr Müller: Dieses Paar ist fast unschlagbar. Sie - im Morgenmantel und mit fettigen Haaren - räumt leise fluchend, aber gewohnheitsgemäß wie eine Putzfrau den Dreck der Familie weg, er - mit Halbglatze, im Unterhemd und der Bierflasche in der Hand - putzt nur seinen Mazda. Die Müllers sind das Klischee schlechthin, aber so übertrieben wie wahr. Da spürt man einfach, wie das ganze Team mit Wonne die schlimmsten Kindheitserfahrungen zusammengetragen hat, den Muff, die Engstirnigkeit und die Familienrituale. Und die Müller-Kinder als entideologisierte, angepaßte Jugend von heute kriegen auch ihr Fett ab.

Lothar Fuchs unbd seine Freundin Gabriele (August Zirner und Sunnyi Melles) haben zwar den besseren Geschmack und die coolere Weltsicht, sind aber letztlich von derselben Spezies: eine Art Müller, die zu Geld gekommen ist. Und da setzt die Schwäche des Films ein: Anstatt nun gnadenlos die Müllers und die Yuppies aufeinanderzuhetzen, These knallhart gegen Antithese zu setzen, wird die Synthese vorweggenommen: Wir sind alle Kleinbürger. Das mag sogar stimmen, aber so leicht möchten wir es trotzdem nicht hinnehmen. Die Müllers sind zwar Trottel, die selbst durch den Bankraub nicht von ihrem Zwangscharakter geheilt werden - und nur deshalb glaubt man ihn ihnen. Trotzdem sind sie wie meine Eltern, die ich mit all ihren Mängeln liebe. Sie haben wenigstens noch die Seele, die die Sparkassen-Yuppies verkauft haben, um sich chic einzurichten und dafür selbst schwere psychische Defekte in Kauf zu nehmen. Die wahren Höhepunkte des Films sind deshalb die Szenen, in denen sich Fuchs und Müller hemmungslos beschimpfen: Lachs gegen Leberkäse - kein Vorurteil bleibt ausgespart.

Doris Dörrie guckt dabei durch das Objektiv: Sie zeigt, wie sie nicht werden wollte, nicht wie die Müllers und kein Yuppie, aber sie weiß, daß beides aus ihr hätte werden können. Darin liegt die Parallele zu Männer: Sie spricht über sich, ohne sich selbst zu nennen. Bloß dieses Mal hat sie damit mehr Glück bei mir gehabt, weil ich ihre Familienerfahrungen viel eher teilen kann und weil sie es schafft, mir die Müllers vor, während und nach dem Banküberfall stimmig zu präsentieren: Das ist bei dieser Story eine große Leistung. Bei Männer habe ich Doris Dörrie noch vorgeworfen, sie filme Geschichten von unten mit dem Blick nach oben. Inzwischen schielt sie wieder nach unten. Trotzdem tut sie das noch lange nicht so radikal wie der Antiheld meiner Jugend - „Ekel Alfred“.

Doris Dörrie: Geld, mit Billie Zöckler, Sunnyi Melles, Uwe Ochsenknecht, August Zirner, BRD 1989, 92 Min.

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