: Ein alter Nationalfeiertag in Ungarn blüht neu auf
■ Erstmals nahmen Kommunisten am Gedenken der Revolution von 1848 teil / Offizielle Festveranstaltung in Budapest mit 20.000 Menschen / Forderungskatalog von damals erinnerte die Partei bislang zu stark an die aktuelle Situation des Landes
Budapest (afp/taz) - Zehntausende von Ungarn haben am Mittwoch in der Hauptstadt Budapest des Jahrestags der Revolution von 1848 gedacht, der erstmals in der Landesgeschichte als Feiertag begangen wurde. Erstmals nahmen neben den offiziellen Verbänden auch unabhängige Vereinigungen an öffentlichen Feierlichkeiten teil.
Vor dem Nationalmuseum hatten sich am Vormittag nach Angaben von Radio Budapest rund 20.000 Menschen zur offiziellen Festveranstaltung versammelt. Neben der Sozialistischen Arbeiterpartei, der Kommunistischen Jugend und der Massenorganisation Volksfront beteiligten sich auch die neue Sozialdemokratische Partei und die Partei der Kleineigentümer.
Mit starkem Beifall wurde Reszo Nyers, Staatsminister und Mitglied im Politbüro der Arbeiterpartei, bedacht, als er in seiner Rede daran erinnerte, daß Ungarn in seiner Geschichte unter Einmischungen von außen gelitten habe: von Wien, von Berlin und von 1948 bis 1956 von Moskau.
Nyers verurteilte auch die Intervention der osteuropäischen Staaten unter der Führung der Sowjetunion zur Beendigung der tschechoslowakischen Reformbewegung 1968. Nach Nyers Angaben nahmen auch in anderen Städten des Landes Millionen von Ungarn an Veranstaltungen zum neuen Nationalfeiertag teil.
Im Anschluß an die offizielle Veranstaltung begaben sich viele der Teilnehmer zum Petofi-Platz, von wo aus nach Rundfunkberichten etwa 60.000 Personen in einer Demonstration unabhängiger und alternativer Bewegungen durch die Straßen der Hauptstadt zogen. Am Petofi-Platz wurde eine Statue des Dichters Sandor Petofi errichtet. Er hatte 1848 vor dem Nationalmuseum den „Nationalen Gesang“ und die zwölf Forderungen umfassende Erklärung des Volkes verlesen.
Diese umfassen, inspiriert von den bürgerlichen Erhebungen in Paris und Wien, die allgemeinen Menschenrechte, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit. Zudem ging es - auch damals schon - um den Abzug fremder Truppen aus Ungarn. Gerade weil diese Forderungen so leicht auf die Nachkriegsgesellschaft in Ungarn übertragbar waren, hatten sich die Kommunisten in der Vergangenheit mit dem Gedenken zum 15. März eher schwergetan. In den letzten Jahren waren immer wieder Demonstrationen von mehreren zehntausend Teilnehmern gewaltsam aufgelöst worden. Daß sich die Führung jetzt bereiterklärte, den 15. März anstelle des Jahrestags der sowjetischen Oktoberrevolution zum offiziellen Feiertag zu erklären, läßt sich als Zugeständnis an das nationale Empfinden der Ungarn werten. Die Führung verspricht sich mit dieser populären und symbolträchtigen Maßnahme eine breitere Unterstützung beim aktuellen Umbau der ungarischen Gesellschaft.
Zahlreiche Ungarn nutzten den Feiertag aber auch für Einkäufe im Nachbarland Österreich. Insgesamt hätten die Ungarn 1988 umgerechnet fast eine Milliarde Mark für private Einkäufe in Österreich aufgewendet, berichtete die Parteizeitung 'Nepszabadsag‘.
sg
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