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Zwei Gift-Beeren erschüttern Chile

■ Keine Entwarnung wegen Zyankali-Obst /Junta beschuldigt die Kommunisten

Berlin (taz/ap) - Zwei einzelne vergiftete Wein-Beeren haben den gesamten Obst-Export aus Chile zusammenbrechen lassen. Als Reaktion auf die in mehreren Ländern ausgesprochene Warnung vor chilenischem Obst hat das Pinochet-Regime am Dienstag abend selbst einen dreitägigen „freiwilligen“ Ausfuhrstopp verhängt, um die Obst-Exporte überprüfen zu lassen.

In USA und Kanada haben die Händler die Regale, die Hausfrauen die Kühlschränke und Obstschalen leergeräumt. Bei Groß- und Einzelhändlern verfaulen mehrere Millionen Kisten Trauben, Äpfel, Birnen und Melonen. Der Schaden wird von den chilenischen Obst-Exporteuren auf einige hundert Millionen Mark geschätzt.

Das Drama begann am 2.März mit einem anonymen Anruf bei der US-Botschaft in Santiago. Ein spanisch sprechender Mann kündigte an, daß chilenische Export-Früchte vergiftet würden. Die genaueren Umstände nannte er nicht. Die Vergiftungsaktion solle auf die schlechte materielle Situation der Chilenen aufmerksam machen. Die „US-Food & Drug Administration“ (FDA) nahm den Anruf ernst und ließ in drei Häfen Import-Ware aus Chile untersuchen. Bei den Stichproben wurden am Sonntag, 11.März 2.700 Kisten mit Weintrauben im Hafen von Philadelphia inspiziert. Ergebnis: In zwei Beeren wurden tatsächlich Nadel-Einstiche und Spuren von Zyankali gefunden. Die gemessene Dosis war allerdings sehr gering und lag nach FDA-Angaben weit unterhalb der Menge, die ein Kind erkranken läßt. Doch die Fahnder vermuteten, daß ein Teil des injizierten Giftes „entfleucht“ sein könnte. Außerdem glaubten sie nicht an einen Einzelfall; weiteres vergiftetes Obst mit höheren Dosen könnte noch im Umlauf sein. Am Montag abend wurde hart durchgegriffen: Die Verbraucher wurden informiert und aufgefordert, kein chilenisches Obst mehr zu essen und alle vorhandenen Früchte - egal welcher Herkunft - wegzuwerfen. Zugleich wurde angeordnet, sämtliches Obst aus Chile vom Markt zu nehmen.

nächstes Land alle Einfuhren, und Japan sowie sämtliche EG -Länder warnten die Verbraucher vor Obst aus Chile. Auch in der BRD wurden

Verbraucher, Zoll und Lebensmittel-Überwachungsbehörden alarmiert. Bis gestern wurde - weltweit - noch keine Entwarnung gegeben. Bei den Stichproben wurden keine neuen Giftspuren mehr entdeckt.

Obst-Importeure und Händler in den USA werfen der FDA inzwischen eine „schlimme, sehr schlimme Überreaktion“ vor. Präsident Bush hat die Intervention dagegen ausdrücklich gebilligt. Jetzt hat das FBI den Fall übernommen.

In Chile hat der Skandal zu heftigen Reaktionen geführt. Der US-Boykott wurde über alle Fernseh- und Rundfunksender bekanntgemacht. Das Pinochet-Regime beschuldigte zugleich die Kommunisten, die Aktion als gezielten Anschlag gegen die Ökonomie des Landes angezettelt zu haben. Obst ist nach Kupfer das zweitwichtigste chilenische Exportgut. Die Gesamteinnahmen der Obst-Exporte wurden für 1989 auf umgerechnet 1,6 Milliarden Mark veranschlagt. 500.000 Arbeitsplätze hängen an dieser Branche.

Admiral Jose Toribio Merino, zweiter Mann in Pinochets Junta, warf den USA vor, Chile wie eine Bananenrepublik zu behandeln. Die Obst-Aktion sei nur „einer von vielen schmutzigen Tricks der USA“.

Manfred Kriener

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