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Gewissensfreiheit-betr.: "Wintex beendet", taz vom 10.3.89

betr.: „Wintex beendet“,

taz vom 10.3.89

(...) Alfred Hurst hat im letzten Jahr durch einen Arbeitsgerichtsprozeß versucht, seinen Arbeitgeber, das Landratsamt Lindau, zu verpflichten, ihn nicht für das Wintex-Cimex-Manöver einzusetzen. Diesen Prozeß hat er verloren, und die Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts Kempten vom 30.9.88 wirft ein deutliches Licht darauf, welcher Stellenwert der grundgesetzlich garantierten Gewissensfreiheit im Bereich abhängiger Beschäfigung beigemessen wird.

Das Urteil (4 Ca 1776/88 Li) führt aus, daß Hurst die Teilnahme an Wintex-Cimex zwar aus Gewissensgründen ablehne. Dem Gewissenskonflikt, durch die Teilnahme an dem Manöver die Voraussetzung für die militärische Verteidigungsfähigkeit der Nato zu schaffen, komme jedoch nicht das Gewicht zu, daß arbeitsvertragliche Pflichten, eben die Teilnahme am Manöver, dahinter zurückstehen müßten. Von Hurst werde nicht die Identifikation mit einem von ihm aus Gewissensgründen abgelehnten Standpunkt verlangt, da er bei dem Manöver nicht militärische Handlungen ausüben oder unterstützen solle. „Der geplante Einsatz dient vielmehr dem Zivilschutz und ist im Kriegsfall damit wertneutral... Die Frage, ob die Zivilbevölkerung im Landkreis Lindau mit Unterstützung des Klägers ordnungsgemäß versorgt werden kann, dürfte kaum geeignet sein, Überlegungen im Hinblick auf die Führung eines Kriegs zu fördern.“ Von Bedeutung sei es nach diesem Urteil auch, „ob der Arbeitnehmer schon bei Vertragsschluß voraussehen konnte, daß aus dem Vertrag eine Verpflichtung, wider sein Gewissen zu handeln, erwachsen würde. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Konfliktsituation außerhalb jeder vernünftigen Überlegung lag.... Es liegt nicht außerhalb jeder vernünftigen Überlegung, daß eine Krisensituation auch auf militärische Gründe zurückzuführen sein könnte.“

Sollte dieses skandalöse Urteil rechtskräftig werden - über die Berufung hat das bayrische Landesarbeitsgericht zu entscheiden -, bedeutet dies nichts anderes, als daß der öffentliche Dienst für Kriegsdienstverweigerer praktisch gestorben ist. Denn jeder angestellte Kriegsdienstverweigerer muß eben schon bei der Anstellung damit rechnen, daß er sich auf sein Gewissen nicht berufen kann und er im Rahmen der Gesamtverteidigung/Kriegsvorbereitung eingesetzt wird.

Stefan Philipp, Stuttgart

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