Urteil in der Tüte

■ Radio Bremen will freie Mitarbeiterin nicht festeinstellen Arbeitsgericht urteilte in verschlossenem Umschlag

Libuse Cerna arbeitet seit vielen Jahren bei Radio Bremen. Jetzt klagt sie auf Festeinstellung. Zum zweiten Verhandlungstag hatte das Arbeitsgericht zwei Redakteure des Vormittagsmagazins geladen. Sie arbeiten täglich mit Libuse Cerna zusammen. Darin waren sie sich einig. Der Rest war Dissenz.

Für ihren vorgesetzten Kollegen Sander hat Libuse Cerna einen eigenen Schreibtisch, einen Telefonanschluß und redaktionelle Verantwortung. Von all dem will der Kollege und Zeuge Achim Kienzel nichts wissen. Einen Schreibtisch habe sie nicht, weil er „ihr keinen gegeben“ habe, und Verantwortung könne sie schon deswegen nicht tragen, weil die unteilbar ist und allein bei ihm liegt. Für Kienzel ist Libuse Cerna „eine freie Mitarbeiterin unter anderen, die mit ihrem harten osteuropäischen Akzent eine neue Farbe ins Programm bringt“ und langsam sogar „ganz gute Formen entwickelt.“

Nach Kienzels Aussage ist Radio Bremen auch kein Neubau mehr, sondern eine Pyramide, bewohnt von Ameisenmenschen

mit strikter Befehlsstruktur. Einer der Könige an der Pyramiden-Spitze: Kienzel selbst. Kein Wunder, daß die beisitzende Richterin fragte: „Es gab keine anderen Redakteure neben ihnen?“

Vieles spricht dafür, daß er Libuse Cerna demnächst neben sich dulden muß - selbstverständlich als Untergebene, aber immerhin als Redakteurin. Diesen Eindruck scheint auch das Radio-Bremen-Direktorium zu haben: Am Ende der Verhandlung bat der Rechtsanwalts des Senders, das Urteil nicht zu verkünden. Man wolle Frau Cerna ein Angebot unterbreiten.

Der Spruch des Gerichts wurde also in einen Briefumschlag gelegt, der erst geöffnet werden darf, wenn es zu keiner Einigung kommt: Ein Urteil in der Tüte.

Das Angebot des Senders sollte am nächsten Tag erfolgen. Jetzt wartet Libuse Cerna seit einer Woche. Geschehen ist bislang nichts. Cerna mutmaßt: „Sie wollen mich mürbe machen.“ Viel wird die Verzögerungstaktik dem Bremer Sender aber nicht nützen. Am 18. April um 8.20 Uhr wird die Tüte geöffnet.

FWG