: Absteiger der Woche: VS-Chef Dieter Wagner
Der neue Berliner Innensenator Pätzold beging seine erste Amtshandlung - er entließ den Chef der Spitzelbehörde ■ P O R T R A I T
Berlin (taz) - Am 20.Dezember letzten Jahres beendete Dieter Wagner, Amtschef des Berliner Verfassungsschutzes (VS), nicht nur seine peinliche Aussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß - er beendete damit gleich seine Karriere. Der 56jährige gelernte Jurist übernahm die Konsequenzen der „Affäre Pätzold“. Erich Pätzold, heute Chef der Innenverwaltung im Berliner rot-grünen Senat, war in seiner damalige Funktion als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission von dem V-Mann Steffen Telschow ausspioniert worden. Und der Skandal eskalierte nur wenige Wochen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Der Rettungsanker, den die angeschlagenen VS-Spitzen auswarfen: Wagner hatte von allem gewußt - nur hatte er die Amtsspitze wochenlang nicht informiert. Er lieferte das Bauernopfer für die angeschlagene Innenverwaltung, für Exinnensenator Kewenig und dessen Staatssekretär Müllenbrock.
Sichtlich geknickt hatte Dieter Wagner die Sitzung des Untersuchungsausschusses verlassen, unter dem Arm die hochgeheime dreieinhalb Zentimeter dicke Akte des V-Mannes Telschow - im Bewußtsein, nach 21 Jahren unermüdlicher Geheimdienstarbeit seine Karriere dem skandalträchtigen Amt geopfert zu haben. Die Versetzung in den Ruhestand am vergangenen Samstag war nur Vollzugsmeldung. Schon vorher geschaßt: der Staatssekretär und sein Innensenator.
Im Dezember 1986 war der Technokrat und Perfektionist Wagner nach Berlin bestellt worden. Jahrelang an der Spitze des VS in Baden-Württemberg, wechselte er an die Spree, um das Berliner Landesamt - schon damals von den verschiedensten Skandalen geschüttelt - wieder auf Vordermann zu bringen. Beste Referenzen brachte das staatsloyale CDU-Mitglied mit. Im März 1977 war bekannt geworden, daß die Wagner-Behörde den siebten Stock im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim mit Wanzen bestückt hatte. Abgehört wurden nicht nur die Gespräche der RAF-Gefangenen untereinander, sondern auch die mit ihren RechtsanwältInnen. Nur ein Jahr später wurde ruchbar, daß der VS landesweit kritische SchülerInnen bespitzelt und sogar versucht hatte, unter ihnen Informanten anzuheuern. 1980 meldete dann die Datenschutzbeauftragte Ruth Leutze, Wagners Mitarbeiter hätten millionenfach Hotelanmeldezettel eingesammelt, ausgewertet und verkartet. Wagners Versuch der Rechtfertigung: es hätte gegolten, Spione zu enttarnen. Wie später in Berlin mußte Wagner schon 1986 in Baden-Würtemberg eingestehen, daß seine Behörde Abgeordnete der Grünen und der SPD sowie den Landesvorsitzenden des DGB bespitzelt hatte. Mit dem Material waren „ausgesuchte Journalisten“ gefüttert worden, die damit eine „Zusammenarbeit der SPD mit Kommunisten“ belegen sollten. Einen Namen machte sich Wagner aber auch damit, daß er im Musterländle die Asten an den Hochschulen flächendeckend überwachen ließ. Sieben „Außenstellen“ an den neun Universitäten sorgten dafür, daß keine Wahl stattfinden konnte, ohne daß dem Amt die Namen der Kandidaten bekannt gewesen wären.
Wolfgang Gast
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