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Schulen für Bluefields

■ Im Oktober startete die taz eine Hilfsaktion für Nicaragua / Ein Zwischenbericht von Tonio Milone

590.443 Mark und elf Pfennig haben taz-Leser gespendet, um die Schulen in Bluefields an der Atlantikküste Nicaraguas wieder aufzubauen, die der Hurrikan „Joan“ am 22. Oktober des vergangenen Jahres zerstört hat. Tonio Milone, von Beruf Kaufmann, war langjähriger taz-Mitarbeiter. Doch Nicaragua ist für ihn kein Neuland. Anderthalb Jahre arbeitete er im Bauministerium in Managua. Im Dezember ist er nach Managua geflogen, um zusammen mit dem Erziehungsministerium das Projekt „Schulen für Bluefields“ vor Ort zu koordinieren. In ein bis zwei Monaten, noch bevor die Regenzeit einsetzen und die Wiederaufbauarbeit an der verwüsteten Atlantikküste erschweren wird, sollen die Schulen stehen. Doch der Unterricht hat bereits begonnen.

Das Hotel Cueto in Bluefields ist in diesen Wochen eine einzigartige Begegnungsstätte. Von den rund 50 Gästen sind weit über die Hälfte Ausländer. Sie kommen aus Kuba, der Sowjetunion, den USA, Australien, Kanada und allen Teilen Westeuropas. Alle haben eines gemeinsam: Sie bauen mit auf, was der Hurrikan „Joan“ im vergangenen Oktober zerstört hat: Häuser, Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Wasserleitungen, Stromnetze usw. Abends ist die Veranda des Hotels eine ergiebige Informationsbörse. Man kann erfahren, wo Zinknägel zu bekommen sind, wer Benzin gegen Rostschutzfarbe tauscht oder wann das nächste Floß mit Kabelrollen eintrifft. In diesem Hotel ist es selbstverständlich, daß ein Kubaner einem US-amerikanischen Baubrigadisten den Preis und die Kontaktperson für Bauholz mitteilt und daß dieser den Tip an einen sowjetischen Techniker weitergibt. Wer hier seine Infos zurückhält, macht sich unbeliebt, wird schnell zum bevorzugten Objekt bissiger Witze.

Wo selbst

der US-Dollar versagt

Trotz enormer Anstrengungen der einheimischen Bevölkerung gleicht Bluefields auch noch vier Wochen nach dem Wirbelsturm einer bombardierten Stadt. Der Hurrikan hat nicht nur den malerischen Ort und die Dörfer der südlichen Atlantikküste zerstört, sondern auch die Wälder und einen Großteil der Transportmittel. Nach Bluefields gibt es keine Straßenverbindung. Von Managua aus fährt man in einem hoffnungslos überfüllten Bus sieben Stunden nach Rama. Dort endet die Straße. Doch das Passagierschiff, das früher Küstenbewohner und Händler auf dem Flußweg nach Bluefields brachte, hat aufgrund der Beschädigung seinen Dienst eingestellt. Fischerboote sind in den Schlammassen untergegangen. Menschen, Lebensmittel und Gebrauchsgüter werden nun mit einem Fischkutter transportiert. Fünf Stunden dauert die Fahrt über den Rio Escondido, zu deutsch: versteckter Fluß. Der Name erinnert an die Zeiten vor dem Wirbelsturm. Damals schlängelte sich der Fluß durch den dichtbewachsenen saftig-grünen Dschungel, heute fließt er durch eine gespenstische braun-graue Landschaft. So weit man sieht, nur geknickte Bäume und Baumstümpfe. Fünf Stunden lang, bis man zur Bucht von Bluefields gelangt. Dort muß der Fischkutter nun bei jeder Fahrt die zugeschüttete Fahrrinne neu „ertasten“. Mit geringem Schub fährt er auf die Sandbänke auf, stößt zurück, fährt wieder vor, bis er wieder aufläuft, stößt wieder zurück und wiederholt dieses Manöver so lange, bis er sich den Weg zum Hafen gebahnt hat. Schwere Lasten werden auf flachen Floßen befördert, die von Schleppbooten gezogen werden. Benzin und Diesel für den Transport sowie Baumaterial aller Art sind neben Lebensmitteln die Güter, um die jedermann täglich kämpft. Zu den Rahmenbedingungen, die eine Volkswirtschaft mit einer Inflationsrate von 20- bis 30.000 Prozent setzt, kommen an der Atlantikküste Nicaraguas nachkriegsähnliche, das heißt hochspekulative Marktverhältnisse hinzu, bei der selbst „harte“ Währungen wie der US-Dollar versagen. Wer einige Stunden über den Hafensteg von Bluefields schlendert, wird Zeuge absonderlicher Geschäftsvorgänge. Der stolze Besitzer zweier Nägelkisten kann aufgrund bloßer Gerüchte sämtliche Höhen und Tiefen eines Wallstreet-Spekulanten erleben. Da kommt ein Fischer in den Hafen eingefahren und berichtet, daß bald ein großes Floß mit Nägelkisten ankommen werde, und schon sinkt der Nagelpreis in Bluefields auf ein Hundertstel. Kurz danach kommt ein weiterer Fischer an und bezweifelt, daß das Floß überhaupt einläuft - der Motor des Schleppers habe sich so unrund angehört -, und schon steigt der Nagelpreis auf das Siebzigfache. Alles, was für den Wiederaufbau der Gegend benötigt wird, muß umständlich aus Managua über den Land- und Flußweg oder aus Costa Rica über das Karibische Meer transportiert werden. Nur Bauholz kann in der Nähe Bluefields gewonnen werden. Aus den umgeknickten Stämmen werden mit Motorsägen Balken und Kanthölzer herausgeschnitten. Aber das Holz ist grün und naß und daher wenig geeignet.

Devisen für Nicaragua

Schon bei den ersten Gesprächen mit dem nicaraguanischen Erziehungsministerium und der (autonomen) Regionalregierung wurde deutlich, daß man in Managua an einer unbürokratischen Realisierung des von den taz-Lesern finanzierten Projekts „Schulen für Nicaragua“ interessiert ist. Der Regierung liegt vor allem daran, möglichst schnell den Unterricht wieder anlaufen zu lassen, um der notleidenden Bevölkerung Zuversicht und Hoffnung zu geben. So wurde mir jede behördliche Unterstützung zugesagt. Zunächst ermittelten wir gemeinsam, welche Baumaterialien zu welchen Preisen und mit welchen Lieferzeiten im Land selbst erhältlich sind. Von Anfang an war klar, daß wir im Ausland, das heißt im benachbarten Costa Rica, nur einkaufen würden, was in Nicaragua nicht aufzutreiben ist. Die Devisen sollten im Land bleiben, das nach acht Jahren Abnutzungskrieg nahe am Bankrott steht. Diese Orientierung hat sich im nachhinein auch sonst als sinnvoll herausgestellt. Hilfsorganisationen, die auf den vermeintlich leichteren und schnelleren Transportweg über Puerto Limon (Costa Rica) setzten, hatten zum Teil erhebliche Zollprobleme zu lösen. Außerdem vereinbarten wir, den Wiederaufbau der Schulen in zwei Phasen durchzuführen. Wir nahmen uns vor, in einer ersten Phase Außenmauern und Außenwände sowie Dächer zu reparieren oder neu zu errichten, um möglichst schnell eine provisorische Nutzung der Schulen zu ermöglichen. In einer zweiten Bauphase sollte der Innenausbau durchgeführt werden: Raumabtrennungen, Zwischendecken, Fenster, Türen und Streicharbeiten. Mit den dann noch eventuell verbleibenden Geldern sollten Schulmöbel ersetzt oder repariert und Unterrichtsmaterial angeschafft werden. Gemeinsam mit einem Ingenieur des Erziehungsministeriums würde ich das Projekt koordinieren, wobei mein nicaraguanischer Partner, Roger Marin Castro, für die Materialberechnungen, die Einhaltung der Baunormen und die Bauqualität verantwortlich sein sollte, während mir die Zuständigkeit für Materialkauf und Transport sowie die Buchhaltung zufiel. Soweit unsere Abmachung.

Zu einer ersten Panne kam es, als wir bereits Bauholz und Zinknägel für die erste Bauphase gekauft und zum Teil schon nach Bluefields transportiert hatten. Erst jetzt stellten wir fest, daß das Schweizer Katastrophenhilfscorps, eine Institution des Außenministeriums in Bern, am gleichen Projekt, das heißt am Aufbau von insgesamt 36 Klassenzimmern in Bluefields arbeitete. Die Doppelung erklärte sich durch die fast zeitgleiche Kontaktaufnahme zu unterschiedlichen nicaraguanischen Instanzen.

Von Bluefields

zur Perlenlagune

Während die Schweizer ihr Projekt mit dem Ministerium für externe Kooperation absprachen, koordinierte ich mich mit dem Erziehungsministerium und der Regionalregierung. Nach einem klärenden Gespräch wurde folgende Neuaufteilung der Schulaufbauprojekte vereinbart: Die in der Stadt Bluefields zu errichtenden Schulen werden zwischen dem Schweizer Katastrophenhilfscorps und dem World University Service aufgeteilt, während mit dem Spendengeld der taz-Leser die Schulen im Landkreis Bluefields und in den Siedlungsgebieten von Kukra Hill, der Perlenlagune (Laguna de Perlas) und der Insel Corn Island aufgebaut werden, um die sich bis dahin keine Hilfsorganisation gekümmert hatte. Damit weitete sich das Projekt erheblich aus. Statt der ursprünglich vorgesehenen 36 Klassenzimmer waren es nunmehr 90. Die logistischen Probleme vervielfachten sich. Außer der Insel Corn Island liegen sämtliche Dörfer oder (Streu)siedlungen nördlich der Lagune Bluefields und südlich des Rio Grande. Die Transporte müssen über das Nadelöhr Bluefields über weitere Flüsse, in denen immer noch viel Treibholz schwimmt, in die Dörfer transportiert werden. Eine Kommunikation mit Bluefields ist nur in Kukra Hill und Laguna de Perlas über Kurzwellenradios möglich. Nach Managua gibt es keine Verbindung. Glücklicherweise war das bereits eingekaufte Material nicht überflüssig geworden, im Gegenteil, es mußte noch einiges mehr nachgekauft werden.

Die Schadensbilanz, die ich vorfand, war in allen Dörfern ähnlich. Von den meisten Schulen waren nur die Außenwände (Betonfertigteile) stehengeblieben. Dach, Zwischenwände (Holz), Fenster, Türen, Schulmöbel und Unterrichtsmaterial waren fast vollständig zerstört. Mit den Dorfvorstehern trafen wir überall ähnliche Abmachungen: Wir verpflichteten uns, sämtliches Baumaterial zu stellen und den Transport bis an die Hafenstege zu organisieren. Außerdem finanzierten wir einen Bauleiter aus dem Dorf und ein oder zwei Zimmerleute. Die Gemeinden verpflichteten sich ihrerseits, für die korrekte Verwendung des Baumaterials zu sorgen und freiwillige Bauhelfer zu mobilisieren. Außerdem sollte jede Gemeinde je nach Umfang der Bauarbeiten einen Geldzuschuß erhalten, um nach Schluß der Arbeiten ein Fest für die freiwilligen Helfer zu veranstalten. Über Material und Geld sollte eine einfache Buchführung erstellt werden. Dieses Verfahren hat sich jetzt nach Beendigung der ersten Bauphase bestens bewährt. Mit der Ausnahme von Corn Island, das 80 Kilometer östlich von Bluefields im Karibischen Meer liegt und nur mit seetüchtigen Schiffen zu erreichen ist, sind bereits alle Dacharbeiten durchgeführt. Die zweite Bauphase kann beginnen.

Orinoco und

seine Garifunas

Bei meinen Besuchen wurde mir in oft rührender Weise genau dargelegt, wieviel Balken, Bretter, Nägel, Zinkbleche verwendet wurden und was noch übriggeblieben ist. Besonders beeindruckt hat mich das Dorf Orinoco. Dort leben 580 Einwohner, überwiegend Garifunas, Nachkommen afrikanischer Sklaven, die von der heute kolumbianischen Insel San Andres, die etwa 150 Kilometer östlich von Corn Island liegt, vertrieben wurden. Viel stärker als die Creoles, die schwarze englischsprachige Bevölkerung von Bluefields und Umgebung, haben die Garifunas ihre ursprüngliche, afrikanische Kultur bewahrt. Orinoco hat etwas von jenem berühmten gallischen Dorf von Asterix und Obelix. Die Contra hat es selbst in ihren besten Tagen und trotz monatelanger Belagerung nie geschafft, ins Dorf einzudringen. Die Garifunas waren stets auf der Seite der Sandinisten. Auch heute noch ist das Dorf mit Schützengräben durchzogen, trotz der relativen Ruhe. Die Einwohner Orinocos waren die ersten, die das Schuldach wieder aufgebaut hatten. Einige Einwohner wollen jetzt ihre Schule „die tageszeitung“ nennen. Ein Ansinnen, das den örtlichen Sekretär der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) nicht gerade begeistert, denn immerhin trägt die Schule bis jetzt noch den Namen des FSLN -Gründers Carlos Fonseca. In Laguna de Perlas, einem Dörfchen an der Südspitze der gleichnamigen Lagune, überreichte mir der Delegierte der Regierung und politische Sekretär der FSLN ein Schreiben mit folgendem Inhalt: „Geschätzte Verleger, Leser und Werktätige der tageszeitung. Hiermit möchten wir Ihnen allen unseren Dank aussprechen für die große Hilfe, die Sie uns beim Wiederaufbau der Schulen zukommen lassen. Daß Leser einer Zeitung unserer Gemeinde Hilfe leisten, ist für uns eine Neuheit. Wir wissen nicht, was die tageszeitung für Sie bedeutet. Für uns jedoch bedeutet sie überdachte Schulen, menschliche Wärme und Solidarität. Brüderlich, Noel Campbell H.“

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