: Frau Irene schweigt zur ostischen Seele
Frau Irene SCHWEIGT zur ostischen Seele Meine Mutter ist Riesengebirglerin, mein Vater Schlesier. Meine Mutter schimpft gern über die Tschechen, die sie vertrieben haben und die heute die schönen alten Häuser so verlottern lassen, und was haben sie aus diesem schönen Land gemacht, das mal den Deutschen gehört hat. Ja, Hitler hat eben nicht an den Denkmalschutz und die frischen deutschen Brötchen gedacht, die man heute gegen pampige schwere Schrippen eintauschen muß, wenn man überhaupt welche kriegt.
Heimatkreise stellen sich vor: Ostpreußen war am Sonntag im Deutschlandhaus an der Reihe. Doch wer sich Tips für den polnisch-russischen Heimaturlaub gewünscht hatte, war fehl am Platz. (Das war nur ich.) Vor höchsten Regierungsgrößen (Pätzold, König...) und anderen Würdenträgern blies man den Staub von Ostpreußens Dichtern und Denkern. Der Volkskundedirektor erzählte, was er in der Schule gelernt hat, und träumte anschließend vom Nachttischchen, indem er den Klappentexten der ostpreußischen Konsaliks seine Referenz erwies. Anschließend Gedenken „im Namen der Gerechtigkeit“ an den Autoren des gleichnamigen Buches: den ostpreußischen Strafverteidiger Paul Ronge, „ein Mann von Format, kraftvoll die Szene beherrschend, ein Sieger“, da endlich der vertraute zackige Landsmannschaftston, mit dem noch im Herbst das Selbstbestimmungsrecht auf die Ostgebiete eingefordert worden war, damals, als man noch seligen Strauß im ICC als Ehrengast hatte. Diesmal sozialdemokratische Sekt - und Hausmacherleberwurstsnackausgabe (billig vom Polenmarkt?), versüßt vom Tilsiter Singekreis und einer Soubrette: Oh Ännchen von Tharau! Königsberg lebt auch heute noch wie 1939, so suggeriert der wiederaufgelegte Stadtplan, und die Straßen sagen uns, Kreuzberg ist Kleinkönigsberg.
Heimatgefühl im Kiez, was könnte daran falsch sein? Man muß nur die richtige Zeitung lesen, die im Deutschlandhaus auch gleich bereit lag: Das 'Ostpreußenblatt‘ beklagt, daß sich „auf dem äußersten linken Spektrum eine buntgemischte Gruppierung (...) anschickt, sich in die Regierungsverantwortung unseres Staatswesens zu drängen“, und fordert statt persönlicher Ressentiments („Der Herr Schönhuber mag dem einen, Herr Ströbele dagegen dem andern nicht liegen“) Profil zu zeigen. Was selbiges Blatt auf Seite 3 beispielhaft tut. Unter dem Titel „Sieg der Vernunft“ bejubelt man die Heimkehr des Memellands ins Reich vor 50 Jahren und Hitlers Danksage an die Memeldeutschen für ihr „tapferes, mannhaftes und unerschütterliches Vertrauen auf ihr Recht und ihre Zugehörigkeit zum Deutschen Reich“. Heimat, wie ick dir liebe.
DoRoh
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