: AUF LEBEN UND TOD IM MUSEUM
■ Eine Verabredung mit Eberhard Roters anläßlich der Ausstellung zu seinem sechzigsten Geburtstag in der von ihm gegründeten Berlinischen Galerie
Merkwürdige Atmosphäre eines geschlossenen Museums: Das Rauschen der Klimaanlage schwillt ständig an, und irgendwo weit weg fallen laut schwere Türen zu. An einem Montag war ich mit Eberhard Roters verabredet, mitten in seiner Ausstellung. Hinter einem Bild, fast wie durch eine Art Geheimgang, quetschen wir uns vorbei, um zwischen die einsamen Bilder zu gelangen. Wie ein Kaleidoskop, das bei jeder Drehung neue Bilder zeigt, wie einen Blumenstrauß voller überraschender Farben und Düfte - so sieht Eberhard Roters, Gründer und ehemaliger Direktor der Berlinischen Galerie, die Hommage-Ausstellung, die ihm von Künstlern und Museum anläßlich seines sechzigsten Geburtstages eingerichtet wurde. Er liebt die Schau um ihres lebendigen Durcheinander willens, in dem fast 180 Künstler, die er mit Ausstellungen bekannt machte, für die er schreibend um Verständnis warb oder die er mit Ankäufen unterstützte, noch einmal Revue passieren. Von Hannah Höch bis Galli, von Lionel Feiniger bis Wolf Vostell, von den Anfängen des Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart reicht das Spektrum und spiegelt damit im kleinen Sammlung und Aufbau der Berlinischen Galerie selbst. Da gibt's eine Ecke der Farbmeditation mit Gecelli, Girke und Graubner. Ein paar Schritte weiter wirken die prosaischen Aufrufe der Realisten, Stelzmann, Sorge oder Staeck. Da läßt sich der Weg von den Leidenschaften der Neuen Wilden bis zur Poesie der von Roters so getauften pathetischen Figuration verfolgen. Die Arbeiten wurden meist von den Künstlern, zum Teil auch von Galerien und Erben, dem Museum geschenkt.
Als Roters in den siebziger Jahren die Berlinische Galerie konzipierte, sah er in zwei gewichtigen Defiziten der damaligen Berliner Museumsszene Notwendigkeit und Chancen seines Plans begründet: Kunsthistorisches Herzstück der neuen Sammlung sollte die bis dahin vernachlässigte Kunst der zehner und zwanziger Jahre werden, daneben aber wollte er sich der Gegenwartskunst zuwenden und die ängstliche Distanz, die Museen üblicherweise zu ihrer Zeit halten, überwinden.
Hannah Höch, Jeanne Mammen, Friedrich Nussbaum, Karl Hubbuch, Raoul Hausmann zum Beispiel waren aus den elitären Sammlungskonzepten großer Museen und der Kunstgeschichte hinausgedrängt worden. Roters entdeckte oft beim Sammeln, wie viele Arbeiten von emigrierten und in Konzentrationslagern ermordeten Künstlern - ungepflegt und verstreut - noch existierten und teilweise noch zu retten waren. „Diese Kunst lag im blinden Fleck, in einer allgemeinen Ignoranz, die für die Gründung der Berlinischen Galerie die große Chance war. Ich hatte beobachtet, daß viele dieser Werke von älteren Museumskollegen nicht beachtet wurden. Die Verdrängung von dem, was vor 1933 passiert war, wurde in den großen Kunstausstellungen der Nachkriegszeit nicht aufgehoben. Es fand vielmehr eine elitäre Sortierung statt. Kandinsky, Schmidt-Rotluff, Kirchner usw., die waren 1933 schon so bekannt, daß sie nach 1945 noch in Erinnerung waren und in die Kunstgeschichte wieder eingeflößt wurden. Was aber verloren gegangen war, das war der Überblick, das war die Kunst der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die Vielfalt der Leistungen in den zwanziger Jahren: Neue Sachlichkeit, Verismus, zweite Welle des Expressionismus, November-Gruppe. Das interessierte die älteren Kollegen nicht, da fehlte ihnen der Blick für. Das fing schon bei Dada an, das wurde für höheren Blödsinn gehalten.“
Entsprechend war auch die Begeisterung für die Gründung der Berlinischen Galerie zunächst nur mäßig: „Zuerst hatte ich die Künstler auf meiner Seite, die haben als erste begriffen, dann hatte ich die Künstlerwitwen auf meiner Seite, dann gewann ich die Sammler für die Idee, dann gab es zum ersten Mal die Möglichkeit, im Gropiusbau auszustellen, dann zog die Presse mit, und dann kamen die Politiker“, resümiert Roters den Prozeß der allmählichen Anerkennung seiner Idee. Unter den drei Kultursenatoren der SPD zwischen 1975 und 1981, Stein, Löffler und Sauberzweig, wurde die Berlinische Galerie geboren, aus der Taufe gehoben und zum Laufen gebracht - Roters redet von ihr wie von einem Kind. Oder er beschreibt das Museum als ein Schiff, das durch die gefährliche Meerenge unterschiedlicher kulturpolitischer Ansprüche zu steuern sei. „Der Unterschied zwischen SPD- und CDU-Senatoren, übertrieben und karikierend gesagt: Die SPD -Senatoren waren immer daran interessiert, eine sehr breit gefächerte Kultur in Berlin zu fördern. Das Problem ist dabei nur, sie kommen schwer aus ihrer Schrebergarten -Perspektive heraus, ihnen mangelt es manchmal an feeling für die internationale Kunstszene. Die CDU geht anders ran. Das sind toughe Jungs, die haben bald erkannt, daß die Kultur heute sehr gut zur Bildung eines liberalen Images geeignet ist. Aus dieser Perspektive haben sie Kultur gefördert, was einerseits zu einer größeren Brisanz, andererseits zu viel größerer Einseitigkeit in der Auswahl geführt hat. Da, zwischen Scylla und Charybdis, da haben wir versucht, unser Schiff durchzulavieren, was uns auch gut gelungen ist.“
Zu Zeiten des Aufbaus der Berlinischen Galerie galt die aktuelle Kunstszene der Stadt nicht als Gegenstand für Museen. Roters aber wollte nicht, daß von der in Berlin entstehenden Kunst nur übrigbliebe, was man in fünzig Jahren aus sicherem historischem Abstand an erst im Lauf der Zeit sich herausschälenden Kriterien messen und als Qualität herausfiltern würde. Sein Museum sollte die Lebendigkeit der sich entwickelnden Kunstszene, auch ihre Unsicherheiten, ihre nicht kontinuierlichen Wege mit Sprüngen und Rückläufen bewahren. Inzwischen ist eine enge Symbiose entstanden zwischen der Künstlerförderung des Berliner Senats und den Erwerbungen der Berlinischen Galerie.
Liest man Eberhard Roters Texte - z.B. in Katalogen zu Galli, Martin Rosz, Stöhrer, Szymanski - dann begegnet man zuerst dem Erzähler. Der Kunsthistoriker tritt als abenteuerlicher Reisender auf, der uns auf seine erlebnisreichen Expeditionen durch die Leinwände mitnimmt. Er redet mit dem, was im Bild ist, wühlt sich manchmal nicht ohne Wollust durch die un- und sichtbaren Schichten der Farben. Gegen die ruhigstellende Ausstrahlung der kalten weiten Museumswand tritt er an, und keine Assoziation ist ihm zu alltäglich, wenn sie taugt, die Kunstwerke wieder an die Lebenspumpen von Blut, Dreck und Wasser anzuschließen. Seine Sprache kämpft gegen Sterilität, gegen eine isolierende Wahrnehmung von auf Sockeln erhöhter, mit Heiligkeit und Leichenhauch umgebener Kunst. Jedes Bild im Moment seiner Wahrnehmung zu revitalisieren, zum augenblicklichen Geschehnis in der Innenwelt des Betrachters werden zu lassen, dazu verfaßt er die Anleitungen. Er läßt sich, trotz der unterschiedlichen Positionen der Künstler, für die er eintritt, immer ein auf die von ihnen empfundenen und artikulierten Notwendigkeiten, etwas so und nicht anders zu machen. Er sicht keine moralischen Rechtfertigungen der Inhalte, sondern er verteidigt das Recht jedes Künstlers auf seine Erfahrungen und seine Ausdrucksformen.
So behauptet Roters auch, seine Entscheidungen für die Ankäufe der Berlinischen Galerie nach „Gefühl und Wellenschlag“ getroffen zu haben. Sein Bekenntnis zur Subjektivität verrät sein Mißtrauen in die scheinbar objektiven und ewigen Qualitäten, die oft als Legitimation für eine Sammlung ausgegeben werden.
Doch trotz seinem Bemühen um die Bewahrung virulenter Lebendigkeit von Kunst erkennt Roters die Probleme der im Museum gesicherten, vielleicht sogar in Magazinen begrabenen Kunst, die mit ihrer Ankunft dort ihren Anspruch auf avantgardistische Positionen eigentlich aufgeben muß: „Wir kommen hier an einen Punkt des unauflösbaren Widerspruchs, der einfach deshalb unauflösbar ist, weil er mit Leben und Tod zu tun hat. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren und darüber muß sich eigentlich jeder Museumsdirektor im Klaren sein -, daß alles das, was ins Museum kommt, auf der einen Seite geboren wird, auf der anderen Seite seine Lebendigkeit verliert. Das Kunstwerk wird in dem Moment, in dem es ins Museumn kommt, geborgen, es ist dann in Sicherheit, aber dem Leben, der unmittelbaren Lebendigkeit, aus der es entstanden ist, ist es plötzlich entzogen.“ Roters scheut sich nicht, ein Museum mit einem anatomischen Schausaal zu vergleichen, in dem Präperate des ehemals Lebendigen dessen Funktionsweise veranschaulichen wollen. Das Geheimnis des Lebens aus konservierten Reliquien aufzuspüren, bleibt ein Widerspruch, mit dem jeder Ausstellungsmacher umgehen muß. Der Protest eines Kunstwerks gegen Defizite des Lebens wird bei seiner Einverleibung ins Museum umgemünzt in einen Schatz im Speicher des Habenden. Roters kann die Trauer nachvollziehen, mit der Paul Valery schrieb: „Alles endet an der Wand oder im Schauschrank ... Ich kann mich nicht enthalten, an die Spielbank zu denken, die bei jedem Umlauf gewinnt. Doch das Vermögen, diese immer voller werdenden Speicher zu nutzen, steigt keineswegs mit ihrem Wachstum. Unsere Schätze erdrücken uns und verwirren uns. Die Notwendigkeit, sie in einer Behausung zusammenzudrängen, treibt die Betäubung und die Trauer, die von ihnen ausgeht, noch über sich hinaus. So weiträumig das Schloß auch sein mag, noch so angepaßt, noch so geordnet immer kommen wir uns in den Galerien ein wenig verloren und verzweifelt vor, so allein gegenüber soviel Kunst.“
Nachdem er zwölf Jahre lang Direktor der Berlinischen Galerie gewesen war, kurz nach ihrem Umzug und ihrer festen Etablierung als Museum im Martin-Gropius-Bau, ging Eberhard Roters aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in Pension. Die schlauchenden Vorbereitungen einer Ausstellung, die Reisen und Verhandlungen, die jeder Ausleihe bekannter Kunstwerke vorausgeht, wollte er nicht mehr mitmachen. Daß die Arbeit des Ausstellungsmachens immer mehr der eines Managers (mit allen Klischees des Mißtrauens, der Skrupellosigkeit, der schnellen Entscheidungen, des langen Ausharrens, der geheimen und offenen Verständigung) gleicht, ist ein Nebenprodukt des Kunstbooms und der Mode der großen Ausstellungen der letzten zehn Jahre. Roters hat sich keinen Illusionen darüber hingegeben, daß die in die Hunderttausende kletternden Zahlen von Besuchern einer Ausstellung nun etwa als Beweis für ein vehement gestiegenes Interesse an der bildenden Kunst gelesen werden könnten. Für das Publikum wurde die Magie der großen Zahlen zu einer Attraktion, die sich nicht mehr von der Anziehungskraft der Kunst selbst abtrennen läßt. Für die Kulturpolitiker, die vielfach als eigentliche Initiatoren angesehen werden können, wurden die Kunstschauen zu einem vielseitig einsetzbaren Mittel der Imagepflege und Publicity: Feuerwerkskultur.
Besonders den Hang der Deutschen zur gigantischen Ausstellung sieht Roters aber zudem in deren spezifischen, schon seit dem 19.Jahrhundert gebrochenen Verhältnis zur eigenen Geschichte bestehen. Ausstellungen müssen immer wieder Defizite im Geschichtsbewußtsein ausgleichen und für Lücken der allgemeinen Bildung büßen. Die Inhalte, deren pädagogische Vermittlung ihnen seit der Aufklärungs-Euphorie der siebziger Jahre aufgebürdet wird, bleiben eine schwere Last, werden vielleicht sogar untragbarer Ballast, je länger und hartnäckiger andernorts Vergangenheitsverdrängung betrieben wird. Doch trotzdem bleibt für Roters gerade darin, daß in jedem Kunstwerk Geschichte in ihrer je subjektiv erfahrenen Form artikuliert wird, noch immer die Motivation jeder Ausstellung bestehen: Kunstgeschichte(n) als Möglichkeit, die Grenzen der eigenen Subjektivität zu überwinden. Auf kein Stückchen dieser sinnlichen Macht der Kunst, ihrer authentischen Überzeugungskraft will er dabei verzichten.
Beim Rückweg durch das Museum, bevor wir wieder hinter einem Bild verschwinden, stutzt Roters vor einem Gemälde wie einem alten Bekannten, läßt sich kurz in die Betrachtung und einen Austausch von Erinnerungen fallen und geht nickend davon.
Katrin Bettina Müller
„Eberhard Roters zu Ehren“ - Ausstellung bis zum 16. April in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau.
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