piwik no script img

„Würde die Zeugin noch mal abtreiben?“

Rheinland-Pfalz: Patientendateien bei Verdacht wegen Kassenbetrugs bei Ärzten beschlagnahmt / Dateien zu Schwangerschaftsabbrüchen ausgewertet / Fragekatalog für Zeuginnen: Zum „Kassenbetrug“ vorgeladen, aber zum „Abbruch“ befragt  ■  Aus Mainz Fabian Fauch

Bei Ermittlungen wegen Kassenbetrugs haben Polizei und Staatsanwaltschaft Karteien von Ärzten auf Abtreibungen hin durchsucht. Sie beschlagnahmten in mindestens einem Fall die gesamte Patientendatei und fischten Fälle etwaiger Schwangerschaftsabbrüche heraus. „Die Karteien“, so befürchten die Mainzer Grünen, „werden so zum Selbstbedienungsladen.“ Brisant ist vor allem jener Fragebogen, anhand dessen die Ermittler Zeuginnen vernahmen. Er wurde im Landtag und vom Koblenzer Generalstaatsanwalt Ulrich beanstandet, darf jedoch weiterhin benutzt werden. Der Mainzer Justizminister Peter Caesar (FDP) sieht keinen Grund, ihn zu verbieten: Die Fragen „waren - jedenfalls zum damaligen Ermittlungsstand - zulässig“, hieß es in seiner Antwort auf eine große Anfrage der Grünen. Und heute sind sie unzulässig? Caesar woll te die Frageliste nicht veröffent licht sehen.

Warum, das zeigt der Bogen selbst, den die Grünen der taz vorlegten. Er entlarvt: Die Paragraph-218-Verfahren, von Justizminister Caesar als liberal dargestellt, verletzen in Wirklichkeit fast die Grenzen des Gesetzes, zumindest aber die Würde der Zeuginnen. Erstens: Die Zeuginnen werden behandelt wie Täterinnen - obwohl laut Caesar „die Ermittlungen sich allein gegen den Frauenarzt richten“ sollen. Zweitens: Die soziale Indikation jedes Abbruchs wird von Ermittlern bezweifelt - obwohl gerade diese Indikation laut Strafgesetzbuch der „ärztlichen Erkenntnis“ überlassen bleibt und sowohl vom Indikationsarzt als auch von dem Arzt, der den Abbruch durchführt, geprüft und verantwortet werden muß. Beispiele aus dem Fragebogen: „Hat die Zeugin dem Arzt die Wahrheit über ihre soziale Lage gesagt? Oder hat sie bewußt unwahre oder unvollständige Angaben gemacht? Wie lange dauerte etwa das Gespräch zwischen der Zeugin und Dr.X bezüglich der Feststellung, ob überhaupt eine soziale Indikation gegeben ist? Welcher Arzt hat die medizinische Beratung wann und wo vorgenommen? Hat der Arzt eine Bescheinigung für den abtreibenden Arzt ausgestellt oder lediglich einen Überweisungsschein mit einem darauf vermerkten Auftrag zum Schwangerschaftsbbruch? War die Patientin dem Arzt vorher bekannt? Wie viele Kinder hatte die Zeugin? Wurde über Adoption nachgedacht? A) Wenn nein, warum nicht? B) Welche triftigen Gründe standen einer Adoption entgegen? Wer war die treibende Kraft für die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs? Wurde bereits vorher ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt? Hat die Zeugin nach dem Abbruch noch Kinder bekommen? Wenn ja, was hat sich an ihren sozialen Verhältnissen Grundlegendes geändert?“ Und schließlich unter Punkt 23: „Würde die Zeugin noch einmal abtreiben? Wenn nein, warum nicht?“ Nur eine Frage befaßt sich direkt mit dem eigentlichen Kassenbetrug: „Wurden für die Abtreibung Zahlungen in bar (also Abrechnung nicht über die Krankenkassen) an den Arzt geleistet?“ Alle anderen Fragen betreffen Abbruch und Indikation.

Ausgedacht hat sich diesen Bogen der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft Koblenz. Gerade Koblenzer Staatsanwälte aber sind schon früher mit Lücken im Rechtsempfinden aufgefallen: So befragte die Staatsanwaltschaft in einem Paragraph-218-Verfahren ÄrztInnen als ZeugInnen, ohne diese auf ihr Recht auf Zeugnisverweigerung als ÄrztInnen hinzuweisen. Das trug den Ermittlern einen Rüffel vom Koblenzer Generalstaatsanwalt Ulrich ein. Es kam zur Dienstaufsichtsbeschwerde und zur Strafanzeige wegen des Verdachts, der Ermittler hätte mit der mangelhaften Belehrung die Ärzte sogar angestiftet, Privatgeheimnisse zu verraten. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt. Der betroffene Staatsanwalt hatte die Mängel sei ner Belehrung selbst nicht er kannt. Ihm konnte daher kein Vorsatz der Anstiftung vorgewor fen werden.

Doch nicht nur der Bogen gibt zu denken, sondern auch die Praxis der Vorladung. Betroffen davon ist mindestens eine der 181 Zeuginnen im Verfahren gegen einen Neuwieder Arzt in Sachen Kassenbetrug und illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Caesar gab zu, es sei nicht ausgeschlossen, „daß einige Frauen in dem Betrugsverfahren auch zum Schwangerschaftsabbruch befragt wurden“. Die Zeugin Frau S. schilderte dagegen, wie es wirklich ablief: „Der Mensch stellte sich als Kripobeamter vor. Er sagte mir, sie ermittelten in der Sache Dr. ..., wegen Kassenbetrugs, und es laufe ein Verfahren. Ob ich wohl bereit sei, eine Aussage dazu zu machen.“ Frau S. sagte zu, dachte aber in jenem Spätsommer 1988 lediglich an Fragen zum Kassenbetrug. Sie wurde bei der Vernehmung überrumpelt: Der Beamte, so berichtet sie, „klärte mich auf, daß ich keine Aussage zu machen bräuchte, machte mir aber gleichzeitig klar, daß - falls ich die Aussage verweigere - man von einem illegalen Abbruch ausgehe und ich mit weiteren Vernehmungen zu rechnen hätte.“ Vom Betrugsdelikt keine Rede mehr.

Ladungen von ZeugInnen zur Vernehmung müssen zwar im Regelfall weder den Namen des Beschuldigten noch den Gegenstand des Verfahrens nennen. Der Kripobeamte jedoch führte Frau S. mit dem Wort „Kassenbetrug“ auf eine falsche Fährte. Absichtlich oder unbewußt?

Frau S. weiter: „Zu dem indikationsstellenden Arzt bin ich auch befragt worden: Ob ich damit einverstanden sei, daß die Kripo auch diesen Arzt befragt. Bei den Unterlagen zur Indikation fehle etwas, die seien nicht vollständig, erklärte mir der Beamte.“ Frau S. stimmte zu, was ihr schon als „Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht“ ausgelegt werden kann - ein weiterer Ermittlertrick. Wie der Fall Neuwied offenbart, häufen sich diese Fußangeln nun auch in Rheinland-Pfalz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen