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TRÄNEN LÜGEN NICHT

■ Neuenfels presents in der Freien Volksbühne: Antonius und Cleopatra

Cleopatra hat, wie wir aus Asterix wissen, schon aufgrund ihrer Nase Furore gemacht. Liz Taylor hatte zwar keine besondere Nase, aber dafür andere Qualitäten, ein halbes Liebespaar darzustellen, und Richard Burton war ja damals auch nicht schlecht. Filmadaptionen gehen meist ins Auge, aber wenn sich Neuenfels plus Familienclan daran wagt, wird's zum Fehltritt aus Überzeugung.

Wenn sich das Liebespaar gleich zu Anfang die Gewissensfrage stellt („Wenn's wirklich Liebe ist, sag mir wieviel?“), muß die Geschichte tragisch enden. So hat es Shakespeare gewollt, und Neuenfels setzt gleich eins drauf und seine Protagonisten in die Sänfte, aus der sie die programmatischen Worte sprechen. Antonius: „Liebe, die zählbar ist, ist Bettelkram.“ Cleopatra: „Ich leg die Grenze fest, wie ich geliebt sein will.“ Antonius: „Dann mußt du neue Himmel, neue Erden finden.“ Da ist sie wieder, die poetische Kampfansage - Neuenfels gegen den Rest der Welt: Ob Penthiselea oder Elektra, immer darf die emotionale Überzeugungstäterin über Leichen gehen, weil ihre Leichen von Herzen kommen und einem tragischen Versehen entstammen, dem Irrtum, zu meinen, man könne dem Realitätsprinzip, der Männermacht, dem Krieg, der kalten Ratio entgehen. Mythische Archaik versus moderne Herrschaftstechnik, das hat nicht nur Christa Wolf vorgemacht.

Aber Neuenfels kann davon nicht lassen. Cleopatras Palastinventar soll wohl ägyptisches Wohnflair im Hollywood -Studio vermitteln: eine Palme, ein Sonnenschirm, golden gestylte schlangenumkränzte Throngestelle, frisch vom Designer, und über allem hängt an der bereits einer neuen Zeit entgegenrostenden Blechwand ein ornamental verzierter goldener MGM-Löwenkopf. Cleopatra (Elisabeth Trissenaar) planscht im Pharaonenwasserbett wie eine Fledermaus, die Tutanchamon sein will, und trauert ihrem geliebten Antonius (Hans-Michael Rehberg) nach, der wegen wichtiger Amtsgeschäfte auf die andere Seite der Drehbühne gewechselt hat. Dort wohnt man lieber geometrisch und funktional und schmiedet vor den Gerüsten des zukünftigen Herrschaftsgebäudes Pläne, wie man den Antonius, der sich bisher in Ägypten eine schöne Zeit gemacht hat, für eigene Zwecke funktionalisieren kann. Antonius willigt ein, Cäsars Schwester Octavia (Sibylla Meckel) zu heiraten, und würde mit ihr am liebsten gleich ins blütenweiße schmale Bettchen schlüpfen, aber Yuppi-Cäsar (Markus-Bluhm) sitzt immer aufdringlich mit dem Kronleuchter dazwischen. Sexuell kann da ja nichts für Antonius rausspringen, was der inzestuöse Bruder ungerechterweise später seiner Schwester vorwirft. Antonius hat sie nämlich wieder weggeschickt und den eingeheirateten Zuwachs an Macht und Ländereien Cleopatra als Mitbringsel geschenkt. Das läßt sich Cäsar nicht gefallen, es kommt zum Krieg. Cäsar siegt, weil Antonius seine Manneskraft schon in einem halbierten Wohnwagen an Cleopatra verloren hat und sie an seiner goldenen Rüstung herumfummeln muß: „Na, wenn ich da nicht sieg!“ Natürlich nicht, daraufhin kommt es zum Ehekrach und Cleopatra verzieht sich schmollend ins Grabmal und läßt ausrichten, sie hätte sich umgebracht. Woraufhin sich sofort tragischerweise Antonius mit einigen Mühen erdolcht. Cleopatra, mit erbleichter Lockenpracht fühlt sich nachvollziehbar für jungschen Cäsar zu alt und zieht dem Triumphzug einen wirkungsvollen Natterntod vor.

Stoff für eine Hollywoodproduktion, hat wohl Neuenfels gedacht. Leider existiert schon eine, die mich einst zu Tränen gerührt hat. Elisabeth Trissenaar gibt sich zwar alle Mühe, als Liz Taylor durchzugehen, und sie darf auch seidene Pyjamas, goldene Divahäubchen und eine dunkle Sonnenbrille anziehen, aber man erkennt sie doch. Dabei will sie so gern die Hure sein, lasziv, launisch und liebestoll, die den armen Antonius in die sumpfigen Abgründe des Eros zieht, weg von seiner frisch vermählten reinweißen, anständigen Ehefrau Oktavia. Hexe und Krankenschwester, die Hexe natürlich positiv besetzt, da kann die Sinnkrise der männlichen Identität nicht weit sein: Hans-Michael Rehberg spielt die emanzipierte Memme so gut, daß man wenigstens bei ihm Neuenfels‘ Regie vergessen kann.

Die übrigen sind Requisiten: Irm Herrmann darf stundenlang in gewohnter Künstlichkeit herumstehen und ein paar schöne Betonungen aus dem Rollenfach ablassen. Iris von Kluge als Iras, die zweite Hofdame, hat ungefähr die Funktion einer Blumenvase, die erst ganz zum Schluß geräuschvoll zerbricht. Und Wolfram Bölzle als transvestitenhaft aufgemotzter schlanker Eunuch (die dritte Hofdame) wird die meiste Zeit dekorativ gebraucht, als Imitation einer ägyptischen Figur. Er fungiert aber auch als Stimmungsmacher mit Broadwaymelodien und hat immerhin einen großen Auftritt als Überbringer von Cleopatras Selbstmordnachricht. Überhaupt die Boten! Daß sie in der Antike für good news belohnt, für bad news bestraft wurden, wissen wir auch von Asterix und Obelix, und da sind einbandagierte Boten auch angebracht. Neuenfels-Paramounts zeigen: einbandagierte Boten im stufenweisen Übergang bis zur Mumie im Wohnzimmer, die allerdings dann den toten Antonius darstellt.

Das alles könnte nett sein, wenn es sich irgendwann entscheiden könnte: für den triefenden Gefühlsschocker oder für die Marxbrothers. Aber Identifizieren ist nicht drin, wie es der gemeine Kinobesucher will, Shakespeare will ironisch gebrochen sein bzw. seine Ironie muß auch was bedeuten. Antonius und Cleopatra gehen sinnschwanger auf und ab, der Löwe brüllt wie Clarence im Dunkel, und am Ende sind verabredungsgemäß die Frauenleichen bzw. die gleichsam zur Frau erhobene Heldenleiche auf der Bühne angerichtet. Zurück bleiben die triumphierenden Männer und die erotischen Obsessionen voll schwuler Ästhetik: muskulöse Männeroberkörper mit Hosenträgern bzw. kessen Wickelhosen. Vielleicht hätte das sogar dem in letzter Zeit so gern als Volksschriftsteller gefeierten Shakespeare gefallen. Eins hätte er nicht verziehen: das masochistische Vergnügen der Langeweile in den heiligen Hallen der Volksbühne, ohne Rauch, Suff, Fraß und Hurerei zur Ablenkung.

Dorothee Hackenberg

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