: Ein Frauenhaus für Mädchen
■ SPD/AL-Koalition will in Berlin ein Mädchenhaus einrichten / Zufluchtsmöglichkeit für sexuell mißbrauchte und bedrohte Mädchen
„Der Bedarf für ein Mädchenhaus ist riesengroß“, so fassen die Frauen von der Berliner Mädchenhaus-Initiative zusammen. Alle können aus ihrer bisherigen Arbeit im Frauenhaus mit Jugenlichen und Flüchtlingen jede Menge Fälle aufzählen: Mädchen, die von zu Hause abhauen, die vor sexueller, psychischer und physischer Gewalt durch den Vater, den Stiefvater oder den Freund der Mutter fliehen. Da ist die 17jährige Iranerin, die nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus liegt. Sie will nicht zurück zu ihrem Vater und Bruder, mit denen sie in einem Zimmer wohnt. „Wo kann sie dann hin?“, ist die Frage. Ein Zimmer in einer Jugend-WG, so die Erfahrung, steht oft erst nach Monaten zur Verfügung. Oder die 15jährige, die immer auf die Kinder von ihrem Bruder aufpassen mußte. Sie rannte von zu Hause weg, übernachtete in Hauskellern. „Die Gefahr ist unheimlich groß“, so eine Vertreterin der Mädchenhaus-Initiative, „daß die Mädchen sich in so einer Situation bei einem Typen anbiedern, damit sie bei ihm wohnen können.
Bislang gibt es in Berlin kein Beratungs- und Betreuungsangebot für solche akuten Notfälle. Im Frauenhaus etwa können bedrohte Mädchen nur gemeinsam mit ihren Müttern aufgenommen werden. Dieser Notstand soll nun behoben werden: Nach Beschluß der SPD-AL-Koalition wird es demnächst auch in Berlin ein Mädchenhaus geben. Ähnliche Einrichtungen gibt es schon seit einiger Zeit in München und Hamburg.
Soetwas wie ein Frauenhaus für Mädchen soll das neue Mädchenhaus werden, an das sich Mädchen von 14 bis 21 Jahren in allen Notlagen wenden können. Wie beim Frauenhaus soll die Adresse geheimgehalten werden, um die Mädchen vor Gewalt und Bedrohung zu schützen. Die Frauen von der Mädchenhaus -Initiative rechnen auch mit vielen ausländischen Mädchen. Wichtig ist den Frauen von der Mädchenhaus-Initiative, daß niemand abgewiesen wird. Alle werden aufgenommen, „bevor sie irgendwo auf der Parkbank schlafen“. Darin unterscheidet sich das geplante Mädchenhaus auch von anderen Projekten wie etwa Wildwasser, die nur sexuell mißbrauchte Mädchen aufnehmen. „Das setzt jedoch bei dem Mädchen eine gewisse Klarheit voraus.“ Gerade sexuell mißbrauchte Mädchen bräuchten eine gewisse Zeit und Distanz, um sich über den Mißbrauch klar zu werden. Die Mädchen können deshalb solange im Mädchenhaus bleiben, „wie es gut für sie ist“. Gemeinsam soll dann überlegt werden, wie es im einzelnen weitergehen kann: „Wir wollen nicht nur Feuerwehr spielen“, heißt es. Die Arbeit wird sich an den Grundsätzen feministischer Mädchenarbeit orientieren. „Das heißt zuerst Parteilichkeit“, führen die Frauen aus. „Das Mädchen soll im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen. Die Elternarbeit dagegen soll von anderen geleistet werden. „Wir sind keine Familienzusammenführungsstelle“, heißt es ausdrücklich. Wenn das Mädchen es wolle, werde man natürlich mit den Eltern verhandeln. Genauso gut möglich sei jedoch die Vermittlung in andere Projekte, Mädchen-WGs, Heime oder Ausbildungsprojekte. Das Zufluchtshaus für Mädchen soll durch eine Beratungsstelle ergänzt werden. Dort soll Beratungs- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden, können die Mädchen sich mit ihren Eltern und FreundInnen treffen.
Die Frauen von der Mädchenhaus-Initiative wollen so schnell wie möglich mit der Umsetzung ihres Konzeptes beginnen. Anfang 1990 soll das Haus bereits eröffnet werden. In welcher Form das Projekt realisiert werden kann, hängt jedoch auch von den Ergebnissen der Haushaltsdebatten nach der parlamentarischen Sommerpause ab. Die VertreterInnen der Mädchenhaus-Initiative gehen von einem Finanzbedarf von 2,5 Millionen Mark für das erste Jahr aus. Sie fordern eine Pauschalfinanzierung durch den Jugend- und Familiensenat, damit die unabhängige Arbeit gewährleistet ist. „Wir sind ein autonomes Projekt, das ist ganz wichtig“, betonen sie. „Das heißt auch, daß für die Mädchen keine Akte angelegt wird und wir unabhängig von einer Behörde arbeiten.“
Frauke Langguth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen