: Abrüstung von unten
Wer braucht eine brav kuschende IGMetall? ■ K O M M E N T A R
Statt bloßer Sonntagsreden endlich eine praktische Initiative: Die gemeinsame Erklärung von IGMetall und DFG-VK Kriegsdienstverweigerung ist Zukunftssicherung ist das Beste, was die Gewerkschaften zum Thema Bundeswehr in den letzten Jahren zustande gebracht haben. Es ist jammerschade, daß IGM-Chef Franz Steinkühler über seinen Pressesprecher sogleich auf Distanz ging und seine Vorstandskollegin Benz -Overhage im Regen stehen ließ. Außer Opportunismus gibt es dafür keinen einzigen Grund. Ganz im Gegenteil: Nichts braucht man weniger als einflußreiche Organisationen, die brav kuschen, wenn der Kanzler den Zeigefinger hebt.
Die Friedensbewegung hat ja bewirkt, daß der sicherheitspolitische Konsens in puncto Atomwaffen zerbrochen ist. Doch die Bundeswehr, wie die konventionelle Rüstung insgesamt, kam relativ ungeschoren davon. Trotzdem ist klar, daß im dichtbesiedelten Mitteleuropa mit Atomkraftwerken und einem Riesenarsenal an chemischer Industrie ein Krieg nie mehr konventionell sein kann. Die Bundeswehr leistet heute nur noch dreierlei: Sie verschafft der Rüstungsindustrie sichere Profite, predigt ein völlig illusionäres Kriegsbild und pflegt ein längst überholtes Bild von Männlichkeit. Dabei wären konventionelle Abrüstung und vor allem die Reduzierung der Bundeswehr der Schlüssel zu einer europäischen Friedensordnung. Die Nato, die bundesdeutschen Militärs, die Bundesregierung - sie alle sind von einer solchen Einsicht weit entfernt. Ob bei der Wehrdienstverlängerung oder den Tiefflügen - die Bundesregierung verharrt borniert in ihrem alten Weltbild. Doch die sowjetische Perestroika bedeutet, daß der Antikommunismus als ideologisches Fundament konservativer Politik an Allmacht verliert. Der Spielraum für konventionelle Abrüstungsschritte jenseits bloßer kosmetischer Korrekturen ist vorhanden - zum erstenmal seit der Wiederaufrüstung in den 50er Jahren.
Aber dazu bedarf es eben auch einer IGMetall, die gesellschaftspolitische Chancen nicht leichtfertig verspielt. Allein die Tatsache, daß Hauptschüler dieses Grundrecht auf Verweigerung prozentual in viel geringerem Maße in Anspruch nehmen, verpflichtet eine Gewerkschaft zum offensiven Vorgehen. In Wien hat jetzt eine konventionelle Abrüstungskonferenz begonnen, auf der die Überwindung der Blockkonfrontation greifbarer werden könnte. Der Westen hat auch diese Konferenz mit den sattsam bekannten Taschenspielertricks begonnen. Um so wichtiger ist dieser Verweigerungsappell. Er ist einfach ein Stück Abrüstung von unten.
Ursel Sieber
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen