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Das Lächeln des Koskotas

In griechischen Geschäften fällt zuweilen, dicht bei der Kasse, eine gerahmte Reproduktion ins Auge, die an die naiven Erbauungsbilder in den Kirchen erinnert. Auch diese Händler-Ikone hat zwei Bilderhälften, die Himmel und Hölle repräsentieren. In der himmlischen Hälfte sieht man einen zigarrerauchenden, satt lächelnden Bürger vor seinem gefüllten Tresor sitzen. In der Hölle nebenan hockt ein armer Schlucker vor seiner leeren Kasse und rauft sich die Haare. Zu seinen Füßen nagen die Mäuse an Zetteln, auf denen wirre Zahlen notiert sind. Der Unglückliche ist Kaufmann, der den Fehler gemacht hat, für seine Kunden „anzuschreiben“. Sein glücklicher Nachbar hingegen vermittelt dem Kunden die unerbauliche Botschaft: Kredit wird nicht gegeben. Reich wird nur, wer bar kassiert.

Der Zufall will es, daß der feiste Bourgeois das Antlitz eines Mannes trägt, der den Griechen in diesen Tagen aus jeder Zeitung entgegenblickt: des in den USA in Haft sitzenden Bankiers und Verlegers Giorgos Koskotas, der im Mittelpunkt eines politökonomischen Krimis steht, der für Griechenland zum Jahrhundertskandal geworden ist.

Wie kam Koskotas zu dem Geld in seinem Tresor? Oder vielmehr: Wie konnte ein unscheinbarer griechischer USA -Rückwanderer, der als berufliche Qualifikation nur seine kleinkriminellen New Yorker Jugendsünden aufzuweisen hatte, Besitzer einer Bank werden? Die Antwort: Er brauchte nur einen Millionenkredit, um die erste Rate für den Erwerb der Aktienmehrheit der Bank von Kreta zu bezahlen. Dann brauchte er noch folgende flotte Idee: Wenn die restliche Kaufsumme erst nach dem Erwerb des Aktienpakets fällig ist, läßt sie sich bereits aus der aufgekauften Bank entnehmen.

Der verblüffende Kaufakt war für griechische Verhältnisse kein neuartiges Unterfangen. Der US-amerikanische marxistische Ökonom James Petras zum Beispiel beschreibt die griechische als eine spekulative Volkswirtschaft, die traditionell von „Kleptokraten“ dominiert werde. Von Dieben, die sich riesige Summen von den staatlichen Banken borgen, einen Teil davon in schnellen Profit versprechende Geschäfte stecken und den Rest ins Ausland schaffen. Läuft das Unternehmen nicht, werden die faulen Kredite auf Kosten der öffentlichen Hand in den Wind geschrieben.

Koskotas hat die alte Kleptokratie nur um eine neue Variante bereichert, indem er zunächst eine Privatbank nämlich seine eigene - zu Lasten der Kontoinhaber ausraubte. Das entstandene Defizit von umgerechnet 350 Millionen Mark trägt jetzt der Staat, der den Crash verhindern muß. Der politisch brisantere Skandal besteht freilich darin, daß der Betrüger schon vor seiner Flucht den Staatshaushalt direkt angezapft hatte - und zwar im Einvernehmen mit der Regierung. Die ließ sich nämlich die Einlagen staatlicher Betriebe und Organisationen bei der Bank von Kreta weit unter dem Marktniveau verzinsen. Die Zinsdifferenz kam Koskotas zugute - als unsichtbare Finanzierungsquelle für seine publizistischen Investitionen, die ihn binnen kurzem zum Herren über drei Tageszeitungen und mehrere Illustrierte machten. Was Wunder, daß er sein quasi auf Staatskosten erworbenes Presseimperium auf eine der Regierung genehme Linie trimmte und seine Chefredakteure aus der engsten Umgebung des Ministerpräsidenten holte.

Dafür, daß Koskotas, wie er neuerdings gegenüber amerikanischen Medien behauptet, einen Teil der Zinsgewinne auch direkt - und kofferweise - an die Pasok-Spitze abgeführt haben will, gibt es zwar (noch) keine Beweise. Fest steht aber schon, daß der damalige Justizminister Koutsojorgas den verdächtig schnellen Geldbrüter ihres Partners monatelang vor der Bankaufsicht bewahrt hatte.

Koskotas genoß aber nicht nur politische, sondern auch eine Art sozialer Protektion. Als Prototyp des Erfolgsmenschen durfte der kapitalistische Wunderknabe mit breiter gesellschaftlicher Anerkennung rechnen. Erfolg, der sich in Geld und Besitz ausdrückt, steht in der griechischen Gesellschaft noch viel höher im Kurs als anderswo. „Schnelles Geld“ kann aber in einer Gesellschaft, deren industrieller Sektor deutlich unterentwickelt ist, nur im Reich der Zirkulation, also durch Handels-, Immobilien- oder Bankgeschäfte, gemacht werden. Daß auch anrüchiges Geld nur den wenigsten stinkt, zeigt der Respekt, den der legendäre Onassis in Griechenland bis heute genießt, quer durch alle Gesellschaftsschichten. Daß er ihren Staat schamlos betrogen und erpreßt hatte, wußten die meisten durchaus. Nur hätten sie es an seiner Stelle ebenso gemacht.

Der Erfolg des Unternehmers Koskotas, die Protektion, die ein erfolgreicher Betrüger nicht nur bei korrupten Politikern, sondern auch durch die gesellschaftliche Atmosphäre genießt, führen uns plastisch vor Augen, warum Griechenland bis heute nicht zu einer entwickelten bürgerlichen Gesellschaft geworden ist. James Patras nennt das Vorrang der „individuellen Modernisierung“ und Bereicherung, die mit den Geldern betrieben wird, die eigentlich dringend für eine „gesellschaftliche Modernisierung“ gebraucht würden, für Reform- und Umverteilungsmaßnahmen also.

Der Staat aber wird in Griechenland als Todfeind des Individuums wahrgenommen. Deshalb bleibt er vergleichsweise arm. So arm wie das menschliche Wrack auf der Krämer-Ikone, dessen verfallene Schuldscheine die nicht eintreibbare Steuerschuld der Begüterten symbolisieren. Oder auch die Gelder, die Koskotas für sich und die Pasok-Größen beiseite geschafft hat - weshalb dieser Koskotas in der anderen Bildhälfte vor seinem Tresor sitzt und von Herzen lacht. Über einen Staat, der es seinesgleichen so leicht macht, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Aber auch über die Staatsbürger, die von ihrem ausgebeuteten Gemeinwesen immer noch sinnvolle gesellschaftliche Leistungen erwarten.

Im Lachen Koskotas‘ liegt die Schadenfreude der unproduktiven Bourgeoisie - ihre Freude über den Sieg des „Koskotatismus“, der die Staatsskepsis der griechischen Bevölkerung erneut bestätigt hat. Die individuelle Bereicherung der Kleptokraten kann jedenfalls weitergehen.

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