: Freundschaftliche Vorführungen
Die Zelluloidartisten aus China sind Favoriten bei der Tischtennis-WM in Dortmund ■ Von Jürgen Schulz
Mit welchen Spielern wird die VR China kommen zur 40. Weltmeisterchaft? Eigentlich spielt das keine Rolle, zu ausgeglichen ist die Leistungsspitze in der weltweit führenden Tischtennisnation.
Früher, vor der Kulturrevolution, waren Namen wie Chuang Tse-tung, Weltmeister von 1961 und 1963, noch stehende Begriffe. Mit der Umbruchphase in den sechziger Jahren kam der gesamte Leistungsport im Reich der Mitte zum Erliegen, verdiente Recken wie Chuang traten zugunsten des kollektiven Erfolgserlebnisses aus dem Rampenlicht. Immer neue Namen wurden in die „Biau yien“ (freundschaftliche Vorführungen) geschickt, die seit der Nixonschen Ping-Pong-Diplomatie die „Shai“ (Wettkämpfe) im chinesischen Wörterbuch ersetzen.
Verantwortlich für die nicht enden wollende Schwemme an Talenten in der VR China zeichnet der staatliche Bildungssektor, denn Vereine existieren nicht. Bereits in den Kindergärten können Maos Enkel anstelle einer musischen Ausbildung zum Schläger greifen. Trainer sichten die größten Begabungen und empfehlen sie weiter; beispielsweise an jene Grundschulen, die sich taditionell mit dem Spiel am grünen Tisch befassen und schon zahlreiche spätere Weltmeister hervorgebracht haben. „Meistens wird dort vor Beginn des Unterrichts ab 7 Uhr eine Stunde gespielt und nach dem Unterricht zwei weitere Stunden“, staunt Reinhard Kobitz, Teilnehmer einer Reisedelegation des Deutschen Tischtennisbundes, im Verbandsorgan 'Deutscher Tischtennis Sport‘.
Nach der Grundschule beginnt ein unerbittlicher Sichtungsprozeß. Nur die allergrößten Talente erhalten die Chance, in den zahlreichen Freizeitsportschulen zu üben oder gar auf ein Vollzeitinternat, das es in jeder Provinz gibt, zu wechseln. Spezielle „Leistungszentren“, beobachtet Koblitz, „sammeln Talente im Alter von sieben bis 17 Jahren. Ungefähr 50 Jugendliche werden von etwa zehn Trainern betreut. Auf sechs Jungen kommt ein Mädchen.“
Die Spitze der Ping-Pong-Pyramide in der Volksrepublik China bilden zweifellos die Sporthochschulen, auf denen die in der Regel 18- bis 23jährigen Asse unter professionellen Bedingungen üben. Jedenfalls, was das Trainingspensum betrifft, denn in den Sporthallen tummeln sich auch Athleten aus anderen Disziplinen. Sechsmal wöchentlich stärken die asiatischen Penholder-Cracks ihre Nerven in lautstarker Umgebung; Bedingungen, wie sie wohl kein Bundesligist bei uns dulden würde, ohne die Ablösung des Hausmeisters zu verlangen.
Folglich muß die Vormachtstellung der Chinesen auch in der Trainingsmethodik begründet liegen. „Übungsleiter in unserem Sinne gibt es nicht“, stellt Reinhard Kobitz fest, „nur Trainer mit Lizenz trainieren.“ Drei Arten von Pädagogen unterrichten in Theorie, Technik, Taktik, Analyse, Praxis der Fehlerkorrektur, Spielsysteme oder Materialien. Es sind sowohl Sportlehrer mit und ohne Spezialausbildung im Fach Tischtennis sowie Tischtennistrainer, die sich häufig aus dem riesigen Reservoir ehemaliger Weltklassespieler rekrutieren und zusätzlich eine Ausbildung im TT-Internat absolviert haben. „Gehört den Chinesen die Zukunft?“ Diese Frage aus dem Jahre 1957, als zum ersten Mal in Stockholm eine volksrepublikanische Abordnung mit Erfolg an Welttitelkämpfen teilnahm, läßt sich wohl auch noch in Zukunft bejahen. Selbst die europäische TT-Macht Schweden dürfte nicht an den Leistungsstand der Mannschaft aus Fernost heranreichen.
Doch wie das Beispiel der einstigen Spitzennation Japan zeigt, kann Lorbeer im Handumdrehen welken. Schon jetzt machen sich chinesische Funktionäre Sorgen um ihren Sport. Die harten Trainingsanforderungen, die kommende Volksdroge Fußball sowie mehr Freizeitangebote sind Gründe genug für Eltern und Sprößlinge umzudenken. Anderswo hört man das gerne.
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