: Vom Surrealismus zum Stereotyp
■ „Fotografie und Werbung“ - eine Ausstellung in Essen
Christof Boy
Als die Fotografie erfunden wurde, glaubten ihre Erfinder, die Wirklichkeit getreu abbilden zu können und hatten nichts begriffen vom Wesen des neuen Mediums. Das Festhalten des Augenblicks hatte mit Authentizität wenig zu tun, schon die Abbildung in Grauabstufungen war ebenso eine Abstraktion von der sichtbaren Wirklichkeit wie die Wahl des Motivs oder des Ausschnitts. Die Möglichkeit zu etwas anderem als der bloßen Darstellung der Realität ist die eigentliche Stärke der Fotografie; deshalb wird sie so geschätzt in der Werbung, denn hier muß sie ihre scheinbare Objektivität einsetzen, um dem Produkt einen eigentlich nicht vorhandenen Vorrang vor Hunderten ähnlicher Produkte anzudichten.
Zwei Bilder - zwei Reaktionen. Das eine verleitet zum Hinsehen, für das andere ist jeder Blick verschwendet. Dabei geizt das langweilige der beiden Fotos nicht mit technischer Raffinesse: Es zeigt einen im Lenkrad untergebrachten Airbag im Moment des Aufplatzens - jene 30 Millisekunden, die das Ding benötigt, um aus der Verankerung zu schießen, Gestalt anzunehmen und den Fahrer vor dem Aufprall zu schützen. Eingefroren in einem Foto, das atemberaubend sein soll, aber nur das Optimum des optisch Möglichen demonstriert. Dagegen ist das andere Foto schlicht - eine Photographie. Die Frau hält ein Haarpflegemittel in der Hand. Das ist es nicht, was an dem eher konventionellen Bild so fesselt, sondern die trügerische Eleganz dieser Frau. Sie ist so geschminkt wie eine Puppe. Ist sie eine Puppe? Oder nur fotografisches Ab -Bild eines zur Puppe gestylten Modells? Gerade die spielerische Ambivalenz der Künstlichkeit schafft die Spannung, die dem Blickfang des sich aufplusternden Airbags einfach überlegen ist.
Zwischen dem fast surrealen Bild der Frau und dem Hochgeschwindigkeits-Foto des Luftsacks liegen fünf Jahrzehnte. Ein Zeitraum, der belegt, daß mit der technischen Vervollkommnung der Fotografie nicht unbedingt ein wirkungsvollerer Umgang mit den Bildwelten einhergehen muß. Die Ausstellung „Fotografie und Werbung“ im Essener Museum Folkwang bestätigt die Macht des Bildes, die durch seine Unmittelbarkeit entsteht. Schon die Werbefotografen der zwanziger Jahre nutzten die Direktheit des Fotos und die Möglichkeit der Manipulation, um dem Objekt, das umworben werden sollte, eine Aura der Sachlichkeit zu verleihen.
„Die Reklame kann alles verwenden, was ihre Wirksamkeit steigert. Eine gute Werbegestaltung muß alle Reaktionsmöglichkeiten und Empfindungsfeinheiten des Publikums berücksichtigen“, schreibt Laszlo Moholy-Nagy 1927 und gibt zu erkennen, daß er um die der Fotografie innewohnende Eigenschaft der Verfremdung weiß. Nagy betont die schöpferische Gestaltung der Reklame, verschweigt aber den Zusammenhang zwischen der Werbung und dem Profitinteresse, das dahinter steckt: Gerade in ihren Anfängen aber ist die Werbefotografie der Kunstfotografie täuschend ähnlich. Die Klebebilder, Montagen und Collagen der Dadaisten, die betont analytische und „reale“ Wiedergabe der „Neuen Sachlichkeit“, die Fotogramme von Man Ray und Moholy-Nagy - diese intellektuelle Annäherung an die neue künstlerische Ausdrucksform Fotografie findet sich auch in den fotografischen Vorlagen für die Anzeigenseiten der zwanziger Jahre wieder. Die Werbefotografen übernehmen die Bildelemente der künstlerisch ambitionierten Fotografen und versuchen damit zu manipulieren - nicht immer gelingt das. Ein Bild zeigt den Alltag eines Büro angestellten - in vier Phasen zerlegt: Dienstbeginn, Kaffeepause, Telefonat und Kundengespräch. Diese vier Bildteile sind überlagert von einer mächtigen Uhr, konzentrische Kreise gehen von ihr aus wie die Schallwellen des Tickens im Uhrwerk. Nie würde man diese Aufnahme, die in ihrer Montage an die Collagen von Raoul Hausmann erinnert, mit einer Annonce für Herrenkonfektion in Verbindung bringen. Aber genau dafür wurde sie von Rene Ahrle gestaltet.
Die manchmal künstlerische, bisweilen auch naive Aneignung der Fotografie für die Werbung in den Zwanzigern, längst hat sie sich in den kühlen Inszenierungen der Profis zu einem zynischen Instrument kalkulierter Werbepsychologie entwickelt. Viel mehr als der Aha-Effekt über die immer wiederkehrenden Stereotypen bekannter Anzeigenkampagnen oder bei der Begegnung mit den alten Bekannten der Sexy-Mini -Super-Flower-Pop-Op-Cola-Generation stellt sich bei der Betrachtung der Nachkriegswerbung nicht ein. Hinzu kommt, daß in der Konzeption der Essener Ausstellung das zunächst verfolgte Prinzip der Chronologie durchbrochen wird, unvermittelt Bilder zu bestimmten Themenbereichen gruppiert werden und dann noch eine dritte Kategorie mit Arbeiten exemplarischer Fotografen eingerichtet ist. Der Besucher wird durch das Chaos der willkürlich und unkoordiniert nebeneinander stehenden Sektionen dazu degradiert, nur zu konsumieren, nicht zu reflektieren. Sonst würde ihm vielleicht aufgehen, daß moderne Werbefotografie nicht mehr nur die Gegenstände aus der Wirklichkeit entnimmt, um sie in einen konstruierten Zusammenhang zu überhöhen und damit den Kaufreiz auszulösen.
Die Werbefotografie schafft sich im Studio eine eigene, künstliche Realität, die dann über die Kampagne in die Wirklichkeit transportiert wird und unsere ursprüngliche Lebenswelt ersetzen soll. So erscheint es nur logisch, seine Lebensumstände dem Produkt anzupassen, das doch über eine so unbestechlich erscheinende optische Präsenz verfügt. Den Pionieren der Werbefotografie läßt sich vielleicht noch abnehmen, daß sie die Kraft des Schönen wecken wollten, ohne zu wissen, wie das inszenierte Bild auf den Alltag zurückwirkt. Heute produziert die Werbung eine Künstlichkeit, die per Anzeige den Menschen an das Produkt anpassen soll und nicht umgekehrt: „Fotografie aus dem Labor fiktiver Realitätsplanung, Fotografie als scheinbar unwiderlegbare Realität, unsichtbar unterlegt von einer Matrix psychologischer Wirkungsplanung“, heißt das bei den Werbestrategen. Zu deutsch: abschalten und gaffen. Warum noch auf die Geschwindigkeit achten, im Notfall schützt der Airbag.
Fotografie und Werbung. Essen, Museum Folkwang, bis zum 15.Mai.
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