Demonstriert, besetzt, geräumt

■ Kiezdemo in Neukölln / Gegen Ausbeutung, Spekulantentum und Luxussanierung / Weserstraße 39 war am Samstag fünf Stunden besetzt

Mehrere hundert DemonstrantInnen haben am Samstag mittag in Neukölln gegen Mietausbeutung, Spekulantentum und Stadtteilzerstörung protestiert. Zu der Kiezdemo hatte das „Anarchistische Stadtteilkomitee Neukölln“ aufgerufen. Noch während der Demonstration besetzten rund 30 Leute ein leerstehendes Fabrikgebäude im Hinterhof des Hauses Weserstraße 39. Nachdem die Hausverwaltung Kleistpark Strafantrag gestellt hatte, wurde das Gebäude um 17.30 Uhr von der Polizei geräumt. Nach Angaben der Polizei verlief die Räumung ohne Zwischenfälle. Die Personalien von 23 BesetzerInnen wurden aufgenommen.

Die BesetzerInnen erklärten dazu, daß die drei Fabriketagen schon seit längerem leerstehen würden. Das Haus soll der Klingbeil-Gruppe gehören. Ein Nutzungskonzept, so die BesetzerInnen, gäbe es nicht. Nach ihren Angaben plane der Senat, das Gebäude abzureißen und an gleicher Stelle ein Aussiedlerhotel zu errichten. „Schluß mit dem spekulativen Leerstand in der Weserstraße 39“, so die Forderung der BesetzerInnen. Sie warfen der AL vor, daß sie in einer Sondersitzung über ihre Position zu Hausbesetzungen diskutiere, während der SPD-Senat Fakten schaffen würde. „Rot-grüne Arbeitsteilung?“ hieß es in der Presseerklärung der BesetzerInnen. „Wir sind jedenfalls gespannt auf neuerliches Rechtfertigungsgeblubber.“

„Wir erwarten nichts vom rot-grünen Salat“, hieß es auch während des Demonstrationszuges. Man glaube nicht, daß der rot-grüne Senat gegen die Interessen der Wohnungsmafia Politik machen werde. In einer Presseerklärung des Anarchistischen Stadtteilkomitees hieß es dazu, die MieterInnen müßten ihre Interessen selber vertreten und sich autonom organisieren. Außerdem wurde die bedingungslose Enteignung aller Hausbesitzer gefordert: „1989 - ein schwarzes Jahr für die Wohnungswirtschaft.“

„Miete vermindern, Kündigung ins Klo - Hausbesetzung sowieso“, skandierten die DemonstrationsteilnehmerInnen auf ihrem Weg durch den Neuköllner Kiez. Der Demonstrationszug führte an Häusern vorbei, die von den VeranstalterInnen als Beispiel für Mietwucher und Kaputtsanierung benannt wurden. So etwa das Haus Pflügerstraße 54, das der Grundtreu Areal Gesellschaft gehören soll. Das Haus soll angeblich luxussaniert werden. „Schließt Euch zusammen, organisiert Mieterversammlungen“, wurden die BewohnerInnen von den Demonstranten aufgefordert. In der Pannierstraße wurde von den Veranstaltern per Megaphon auf das Haus 57 hingewiesen, das der Data Domizil gehören soll. Nach ihren Angaben soll das Haus zu 50 Prozent leerstehen. Über die Sonnenallee ging es weiter zur Erkstraße. Die Häuser 4 und 5, so tönte es aus dem Lautsprecherwagen, würden der Ehefrau von Gerhard Frey, dem Verleger der rechtsnationalen Wochenzeitung 'Nationalzeitung‘ gehören. „Finanziert nicht die Rechten“, forderten die DemonstrantInnen. An der Kiezdemo beteiligten sich auch BewohnerInnen des Hauses Weisestraße 48, das trotz Protest der MieterInnen demnächst abgerissen werden soll. Über die Karl-Marx-Straße zogen die DemonstrantInnen dann ins Rollbergviertel. Für die Betonburgen in diesem Neubauviertel ist die senatseigene Stadt- und Land Gesellschaft verantwortlich. In den siebziger Jahren war das traditionsreiche Arbeiterviertel kahlschlagsaniert worden. Die Demonstration endete nach Angaben der Polizei gegen 14 Uhr „friedlich“ mit einer Kundgebung auf dem Karl-Marx -Platz.

-guth