: „Mein Selbstbewußtsein wächst“
Schwangerschaftskonflikte können durch Austragen einfach gelöst werden - suggeriert die Broschüre „Mit Kindern leben“ des baden-württembergischen Sozialministeriums / Diejenige, die abtreibt bleibt unglücklich ■ D O K U M E N T A T I O N
In kurzen Fallgeschichten, die authentisch wirken sollen, zeigt die Initiative „Mit Kindern leben“, wie das Leben wirklich ist. Da ist einerseits die tapfere junge Frau, die sich für ihr Kind entscheidet und prompt allseits Unterstützung bekommt. Und da ist andererseits diejenige, die die Abtreibung wählt und deshalb noch immer weinen muß.
Jutta L., 17 Jahre, Schülerin:
Jutta ist das einzige Kind und lebt bei ihren Eltern. Ihre Mutter, mit der sie sich gut versteht, ist seit fünf Jahren wieder berufstätig und arbeitet als Sachbearbeiterin in einer Elektrofirma. Ihr Vater ist Beamter. Bernd, ihr Freund, ist 19 Jahre alt. Jutta ist ungewollt schwanger.
Mein Selbstbewußtsein wächst mit meinem Bauch
In etwa zwei Wochen kommt mein Baby auf die Welt. Was sich da wohl alles in meinem Leben verändern wird? Ich fühle mich stark, gut darauf vorbereitet. Die letzten Monate haben so viel auf den Kopf gestellt - mich hat das nur stärker gemacht. Jetzt kann mir nichts mehr passieren. Wenn ich zurückdenke, wie verzweifelt ich war, als ich merkte, daß ich schwanger bin. Bernd fühlte sich völlig überfordert. Mutti sagte immer: „Warum jetzt, ein Jahr vor dem Abi?“ Und mit Vati habe ich mich zuerst gar nicht getraut zu reden. Und dann - seine Reaktion hat mir am meisten geholfen. „Das kriegen wir schon hin“, hat er gesagt. „Du unterbrichst die Schule für ein Jahr, und dann sind wir ja auch noch da.“ Von ihm hatte ich es am wenigsten erwartet, daß er so offen mit der Situation umgehen kann.
In der Schule war es komisch. Die haben am Anfang merkwürdig reagiert. So als wüßten sie nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Aber der Bauch ist immer größer geworden und mein Selbstbewußtsein auch. Bernd hat sich davon regelrecht anstecken lassen. „Du bist eine tapfere Frau“, hat er neulich gesagt. „Wieso?“ habe ich geantwortet, „schwanger waren vor mir schon Milliarden von Frauen, und für viele war es sicher schwierig.“
Wir wollen noch nicht gleich heiraten. Erst einmal das Baby. Das ist Veränderung genug. Und ich bleibe auch vorerst bei den Eltern wohnen. Mutti will sehen, ob sie noch nicht aus der Übung gekommen ist. So lang ist es schließlich nicht her, daß ich klein gewesen bin.
Corinna O., 20 Jahre, Lehrling
Corinna macht eine Kunstschreinerlehre. Sie ist seit drei Jahren mit Klaus befreundet. Über Heirat haben die beiden nie geredet. Überhaupt weicht Klaus „schwierigen“ Gesprächen gerne aus. Dazu gehört zum Beispiel auch das Thema Verhütung.
Corinna ist ungewollt schwanger.
Die Erinnerung bleibt bestehen.
Ich erinnere mich noch gut an Klaus‘ erste Reaktion: „Ich laß‘ mich doch nicht einfangen. Und wer sagt, daß wir überhaupt zusammenpassen.“ Das tat weh, zumal er nun auch mit „vernünftigen“ Argumenten kam: beide noch in der Ausbildung und zu wenig Geld. Damit hatte er recht, aber tief in mir war auch das Gefühl, daß ich mir vorstellen konnte, das Kind zu bekommen.
Unsere Diskussionen endeten in einer Sackgasse. Ich fühlte mich sehr von ihm im Stich gelassen. Klaus sprach jetzt nur noch von irgendwelchen Anschaffungen, die er machen müßte und daß man(n) sich Kinder heutzutage sowieso nicht mehr leisten könnte.
Zum Abbruch sind wir nach Holland gefahren. Das erschien Klaus „unproblematischer“. Die ganze Fahrt über haben wir kein Wort geredet. Auch hinterher nicht. Wir sind dann nur noch kurze Zeit zusammengeblieben. Zwischen uns war etwas zerbrochen.
Heute bin ich glücklich verheiratet. Wir haben eine kleine Tochter, acht Monate alt. Ich habe während der Schwangerschaft oft an den Abbruch denken müssen. Und wenn ich meine Tochter manchmal anschaue, wie sie so lacht und jauchzt, kommen mir die Tränen. Es bedrückt mich, daß die Erinnerung an das „andere“ Kind nicht verblassen will.
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