Kanten am runden Tisch

Noch immer sind mehrere Themen bei den Verhandlungen in Polen zwischen Regierung und Opposition umstritten / ZK unterstützt die Linie der Parteiführung / Einberufung einer Parteikonferenz geplant  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Drei Tage vor dem geplanten Termin für die feierliche Schlußsitzung am „runden Tisch“ in Warschau zeichnete sich gestern noch keine Lösung für die letzten strittigen Fragen ab. Nachdem stundenlange Verhandlungen der Wirtschaftsgruppe über die Frage der Lohnanpassung am Samstag erfolglos endeten, wurde immer fraglicher, ob schon am Mittwoch eine Vereinbarung unterzeichnet werden kann. Die Erwartungen konzentrierten sich auf das für Montag angesetzte neue Treffen zwischen dem Vorsitzenden der Solidarnosc Walesa und Innenminister Czeslaw Kiszczak. Die umstrittenen Themen sind im wesentlichen die Vollmachten des Senats und des Präsidenten und die Wiedereinstellung der wegen Gewerkschaftsarbeit entlassenen Arbeitnehmer.

Am vergangenen Freitag hatte sich das höchste Gremium der Partei nach dem Parteitag mit den bisherigen Verhandlungsergebnissen einverstanden erklärt: „Das Zentralkomitee der PVAP unterstützt die Tätigkeit des Politbüros, wie sie sich aus dem 10.ZK-Plenum ergibt.“ Ziel der „radikalen, gesellschaftspolitischen Reformen“ sei die Errichtung einer „Bürgergesellschaft“ und eines „Staates der sozialistischen parlamentarischen Demokratie“. Diese Zustimmung des ZKs kam schneller und eindeutiger zustande, als dies von vielen Beobachtern in Warschau erwartet worden war. Auf dem 10.ZK-Plenum im Januar dieses Jahres hatte die Parteispitze noch mit Rücktrittsdrohungen die Einführung des Gewerkschaftspluralismus und damit die Wiederzulassung der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc durchsetzen müssen. Nun erhielt die Parteiführung nach relativ kurzer Zeit am Samstag abend freie Hand für die Verhandlungen am runden Tisch mit der Opposition. Dennoch kam die Entscheidung nicht ohne Widerstände zustande.

Gerade aus der Sejm-Fraktion der PVAP waren bei der ersten Lesung der Verfassungsänderungen zahlreiche Stimmen lautgeworden, die die Vorgehensweise der Parteiführung offen kritisierten. Unter dem Beifall des gesamten Hauses hatte zum Beispiel ein Abgeordneter einer christlichen Gruppe erklärt, der runde Tisch dürfe nicht über dem „Verfassungsorgan“ Sejm stehen. Nachdem die Opposition gegen einige der dem Sejm vorliegenden Gesetzesprojekte Einspruch erhoben hatte, hatte die Regierung Korrekturen bei der zweiten Lesung zugesagt. Um die aufmüpfigen Genossen zu besänftigen, erklärte denn auch General Jaruzelski auf dem jetzigen ZK-Plenum, selbstverständlich läge die letzte Entscheidung beim Parlament.

Zu der neuen Vorwärtsstrategie, mit der die Parteiführung verlorenes Terrain zurückgewinnen will, gehört nicht nur eine angekündigte Öffnung der Partei nach außen, sondern auch die Einberufung einer Parteidelegiertenkonferenz für den 4.und 5.Mai dieses Jahres. Offenbar erhofft sich die Parteiführung dort eine endgültige Bestätigung ihres Kurses. Wie Funktionäre der PVAP unter der Hand zu verstehen geben, fürchtet die Parteispitze die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags vor allem, weil sie davon ausgeht, daß von der Basis aufgestellte Delegierte sich vermehrt aus den Reihen der Reformgegner, vor allem der offiziellen Gewerkschaften OPZZ rekrutieren werden.