: Ultimatum für Stuttgarter Hausbesetzer
Liegenschaftsamt will heute Nachmittag zwei besetzte Wohnungen in der Neckarstraße räumen lassen / BesetzerInnen haben neutralen Vermittler zu Verhandlungsgesprächen über Mietverträge eingeschaltet ■ Aus Stuttgart Hartmut Zeeb
Die beiden seit der vorletzten Woche besetzten Wohnungen in der Stuttgarter Neckarstraße 79 sollen möglicherweise heute Nachmittag um 14 Uhr geräumt werden. Das Ultimatum stellte das Staatliche Liegenschaftsamt des Landes Baden -Württemberg. Eine dritte Wohnung, die am vergangenen Mittwoch spontan besetzt worden war, ist umgehend von der Polizei geräumt worden.
Das Gebäude Nummer 79 ist, ebenso wie die anderen Häuser dieses Abschnittes der zur Stadtautobahn ausgebauten früheren Prachtstraße, zum ersten Januar in den Besitz des Landes übergegangen. Die Stuttgarter Stadtverwaltung hatte 20 Jahre lang als Eigentümerin die denkmalgeschützten Häuser auf ihrer Abrißliste stehen.
Bereits seit längerer Zeit haben verschiedenste Interessenten versucht, Mietverträge für die seit mehr als einem Jahr leerstehenden Wohnungen zu bekommen, ohne Erfolg. Seit Späths Entscheidung, das Nobel-Hotel „Intercontinental“ in der Neckarstraße anzusiedeln, war klar: Die verbliebenen Wohnhäuser werden früher oder später den gigantomanischen Entwürfen der Späth'schen Kulturmeile zum Opfer fallen. Geplant ist der Bau von Museen, Geschäfts- und Bürobauten. „Interconti„-Chef Peter Granser hat unmittelbar nach der Eröffnung seines Hotels im vergangenen Jahr versucht, den Landtag dazu zu bewegen, die ganze Häuserzeile, vor allem aber das Gebäude Nummer 79, in dem ein Beratungszentrum für Arbeitslose und eine Wärmstube für Obdachlose untergebracht ist, schnellstmöglich abreißen zu lassen. Die Konfrontation mit sozialen Problemgruppen sei eine Zumutung für seine gutbetuchten Gäste. Außerdem sei das Wohnen an der Neckarstraße wegen der hohen Lärm- und Abgasbelästigung sowieso unzumutbar. Seltsam nur, daß seine Gäste an derselben Straße bereit sein sollen, mehrere tausend Mark für eine Übernachtung hinzublättern. Seit diesen Äußerungen, die einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatten, ist in Stuttgart die Diskussion um die Neckarstraße nicht mehr abgebrochen. Das kommt jetzt den BesetzerInnen zugute. Im Dezember hat sich eine Bürgerinitiative für den Erhalt und die Sanierung der Häuser gegründet, die jetzt die BesetzerInnen unterstützt. Ihre Forderungen sind identisch: Die Neckarstraße mit ihrem Bestand an großen, billigen Altbau-Mietwohnungen soll als innerstädtisches Wohngebiet erhalten bleiben. Bereits ausgesprochene Kündigungen sollen zurückgenommen, weitere leere Wohnungen sofort renoviert und ohne Mietsteigerung vermietet werden. Wenn die Neckarstraße 79 geräumt werden sollte, dann voraussichtlich mit der Begründung, das Land wolle hier Asylsuchende unterbringen. Aber auch die BesetzerInnen fordern Wohnraum für Asylsuchende, allerdings in einem gegenüberliegenden Gebäude, in dem das Land ein Polizeiwohnheim einrichten will.
Mit dem Angebot, über einen neutralen Vermittler noch einmal mit dem Land Baden-Würtemberg über Mietverträge für die beiden besetzten Wohnungen zu verhandeln, wandten sich die BesetzerInnen gestern an die Öffentlichkeit: „Wir wollen nichts unversucht lassen, eine Eskalation zu vermeiden, halten aber an unseren Forderungen nach Mietverträgen fest.“ Auf einer Demo am heutigen Montag ab 17.30 Uhr sollen noch einmal die Forderungen an die Öffentlichkeit getragen werden.
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