: Herausforderung für die Industrie
Ernest Callenbach, Autor von „Oekotopia“: Das Auto - Anachronismus des 19. Jahrhunderts ■ I N T E R V I E W
taz: Sie haben 1975 das Buch „Oekotopia“ veröffentlicht, in dem Sie eine ökologische Utopie beschreiben. Sind wir rückblickend dieser Utopie in irgendeiner Weise nähergekommen?
Ernest Callenbach: Ich glaube, daß heute mehr Menschen begreifen, wie notwendig es ist, zu einem ökologischen Leben zu finden. Mit Oekotopia wollte ich zeigen, daß es möglich ist, im Einklang mit unserer natürlichen Umwelt zu leben und es dafür keiner revolutionären Neuerungen oder grundlegender Systemveränderungen bedarf. Das verstehen heute sehr viel mehr Menschen als 1975, weil sie besser informiert sind und direkt unter Umweltproblemen leiden. Das muß nicht nur die Gefährdung der Gesundheit sein. Auch eine ständig steigende Rechnung für die Müllabfuhr kann zum Umdenken zwingen.
Was hat die Südkalifornier zum Umdenken gezwungen? Oder wird ihnen der jetzt verabschiedete Plan zur Luftreinhaltung einfach aufgezwungen?
Wer sich einige Zeit in LA aufgehalten hat, weiß, wie die Bevölkerung direkt und täglich mit den Auswirkungen der Luftverschmutzung zu kämpfen hat. Alle Gegenstände aus Gummi korrodieren rapide, die Autos rosten, die Farbe an Zäunen, Häusern etc. blättert ab. Erkrankungen der Atemwege und brennende Augen sind weit verbreitet. Die Behörde für Luftqualität hätte einem so weitgehenden Plan nicht zugestimmt, schon gar nicht mit einer Mehrheit von acht zu zwei, wenn sie nicht auf Unterstützung in der Bevölkerung bauen könnte. Auch wenn nicht alle 120 Punkte des Planes in Kraft treten werden, ist es doch bemerkenswert, daß die „autogeprägten“ Südkalifornier diese Beschränkungen ins Auge fassen.
Die Umstellung aller Kraftwagen auf saubere Brennstoffe (Methanol) oder langfristig auf Strom ist Kernstück des Plans. Wo soll der Strom herkommen? Besteht nicht die Gefahr - zumal der Treibhauseffekt kaum noch bezweifelt wird -, daß die Atomkraftwerke aus der Mottenkiste geholt werden?
Die Gefahr besteht sicher. Der Plan sieht aber auch eine umfassende Verbesserung des öffentlichen Verkehrsnetzes vor und wirkt gegen die Verwendung von privaten Personenwagen. Was das Privatauto angeht, bin ich der Meinung, daß technologische Lösungen zweitrangig sind. Das Auto ist ein Anachronismus des 19. Jahrhunderts. Es wurde entwickelt, als die Menschen oft weit entfernt voneinander in ländlichen Gebieten lebten. Südkaliforniens neuer Luftreinhaltungsplan sieht nicht nur den Übergang zum Massentransport vor, sondern zu weniger Transport überhaupt. Die strenge Trennung zwischen Wohn- und Geschäftsvierteln soll aufgehoben werden. Finanzielle Anreize oder auch Gesetze sollen dafür sorgen, daß Büros und Fabriken, Einkaufsläden und Restaurants näher an die Wohnviertel ziehen. Eigentlich, das beschrieb ich auch in Oekotopia, sollten alle Bewohner einer Stadt ihrem Alltagsleben zu Fuß oder vielleicht mit einem Fahrrad nachgehen können.
Das klingt allerdings utopisch. Gibt es denn woanders schon irgendwelche Ansätze, Arbeit und Wohnen räumlich zusammenzubringen?
Ein gutes Beispiel ist ein Gesetz in San Francisco. Es schreibt Bauträgern vor, daß sie bei der Errichtung von Büroräumen gleichzeitig in nächster Nähe Wohnmöglichkeiten bauen. Wer beispielsweise Büros für eine Belegschaft von 300 Arbeitnehmern erstellt, muß für 150 Personen Wohnraum schaffen. Vorbild für die gesunde Verbindung von Arbeitsplatz und Wohnstätten sind natürlich die schönen mittelalterlichen Städte Europas.
Wie wird die Industrie auf Südkaliforniens Plan reagieren? Sie droht bereits mit Flucht und Verlust von Arbeitsplätzen.
Manche Industriezweige werden gehen müssen. Eine Ölraffinerie hat in einem städtischen Ballungsgebiet keinen Platz, wenn sie nicht praktisch schadstofffrei operiert. Schlaue große und kleine Industrielle werden die neuen Marktnischen erkennen und sie füllen wollen. Die Umstellung auf methanol- oder elektrisch betriebene Autos und Busse, die Entwicklung alternativer Energiequellen oder die Ausrüstung bestehender Anlagen mit extrem teurer Filtertechnologie ist eine Herausforderung für die Industrie.
Geht es auch darum, Verbraucher zum kritischen Konsum zu bewegen? Die Nachfrage zwingt dann die Hersteller zur Produktion umweltfreundlicher Produkte.
Das spielt eine wichtige Rolle. In Kalifornien hat sich in den letzten Wochen etwas abgespielt, das diese Theorie belegt. Als neue Untersuchungen über Pestizidrückstände an Obst und Gemüse die Bevölkerung in den ganzen USA alarmierten, wandten sich Kaliforniens Landwirte an die Regierung des Bundesstaates mit der Bitte, die Pestizidverwendung strenger zu regulieren. Zukünftig wollen die Bauern jede Pestizidbehandlung den Behörden melden. Dadurch hoffen sie, das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Produkte zurückzugewinnen. Mit gutem Grund fürchten sie nämlich, daß immer mehr Verbraucher nur noch beim Biobauern einkaufen.
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