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Eigenmächtiges Dableiben

■ Mit „Informationen für unzufriedene Soldaten“ konfrontierten Kriegsgegner die frisch eingezogenen Rekruten auf dem Bremer Bahnhof / Bahnpolizei versuchte es vergeblich mit Einschüchterung

Ein Zaghafterer hätte sich von den Bahnpolizei-Männern rauswerfen lassen. Aber dazu gehörte gestern mehr als drei Uniformen. „Es gibt viele Möglichkeiten, von der Bundeswehr abzuhauen!“ Wer das gestern aufmunternd ausgerechnet zu ganzen Gruppen von mehr oder eher weniger motivierten künftigen Rekruten sagte, beschrieb sich selbst vor den jungen Männern so: „Ich bin ein alter Mann und war im Krieg, bis ich desertierte - und dann im KZ.“

Ludwig Baumann, entschiedener Kriegsgegner aus eigenem Erleben, tat gestern erneut, bewußt und diesmal mit gerichtlicher Rückendeckung, was ihm schon einmal ein vorläufiges Hausverbot im Bremer Bahnhof eingebracht hatte: Er stellte sich vor die jungen Einberufenen, die - noch in zivil - mit ihren Sporttaschen und frisch kurzgeschorenen Haaren auf Gleis 1 auf ihren „Militärzug“ warteten, um den Grundwehrdienst anzutreten. Und dann hielt er eine kurze Ansprache: darüber, daß von Abrüstung geredet, aber Krieg geübt wird, daß im US-amerikanischen Krigesführungs-Konzept 'Air-Land-Battle‘ Klartext steht: „Unsere Armeen müssen in einer Weise bewaffnet und ausgebildet werden, daß sie die Kampfauf

träge bewältigen können, die wir ab Mitte der 90er Jahre auf dem mittelauorpäischen Gefechtsfeld durchzuführen haben werden!“

Die Bahnpolizei beobachtete das Ganze mißtrauisch, kam näher. Zwei junge Uniformierte bauten sich vor Baumann auf und versuchten es vergeblich mit Einschüchterung: Er habe da nichts zu suchen, er solle sich entfernen! Ludwig Baumann hat in seinem Leben Schlimmeres erlebt als

diensteifrige Bahnhofsbeamte. Er trat zur nächsten Soldatengruppe: „Wenn Ihr den Dienst mit Eurem Gewissen nicht vereinbaren könnt: verweigert den Dienst! Laßt Euch nicht mißbrauchen! Beruft Euch auf das Grundgesetz!“ Stärker als die angesprochenen jungen Männer reagierten einige mitgekommene Väter und Mütter, die den Krieg vom Alter her noch erlebt haben dürften: „Quatsch! Das ist doch kein

Kriegsdienst! Das ist doch Verteidigung!“

Dann kam der dritte Uniformierte heran: „Was machen Sie hier für einen Quatsch? Reden halten?“ Baumann blieb ganz ruhig: „Das ist für mich kein Quatsch, wenn ich gegen den Krieg bin. Ich bin ein alter Mann.“ Der Dritte machte dicke Backen, baute sich mächtig auf und kündigte an: „Ich zeige Sie an wegen Hausfriedensbruch! Ich

lasse Sie hier entfernen!“ Baumann erklärte, daß er eben wegen Hausverbots die Bundesbahn 1988 erfolgreich vor dem Landes-Und Oberlandesgericht verklagt habe und bleiben könne, solange er den Reiseverkehr nicht beeinträchtige: „Ihr Vorgesetzter weiß darüber Bescheid!“ Und wandte sich ab. Die beiden jungen Uniformierten: „Soll der weg? Dann nehmen wir ihn mit.“ Sollte er dann aber vorsichtshalber doch nicht. Baumann war inzwischen vor dem Bahnhof, am Stand der „antimilitaristischen Informationsgruppe“. Die verteilte, wie immer, wenn am Bremer Bahnhof Rekruten eingezogen werden, Flugblätter und die kleine Broschüre

„Informationen für unzufriedene Soldaten“. Paßt in jede Uniformtasche. Hauptinhalt: „Wie man legal oder illegal die Bundeswehr verlassen kann“. Interessante Kapitel: Gelöbnis -Verweigerung, Beschwerderechte, vorzeitige Entlassung, eigenmächtiges Verlassen der Bundeswehr, Absetzen nach Berlin. Und: Was tun, wenn Feldjäger die Bröschüre kassieren: „Lege Beschwerde ein und verlange eine Quittung!“ Susanne Paa

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