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Nasenlos-betr.: "Ein obzönes Stück", taz vom 22.3.89

betr.: „Ein obszönes Stück“, taz vom 22.3.89

Ich weiß nicht, ob dies die Intention der TTT-Redaktion war; was aber ankam, war dies: So ein Mann darf nicht Professor an einer Hochschule werden.

Während mich der Anfang des Berichts betroffen machte, und in meinem Kopf noch Raum war, gesellschaftliche Zusammenhänge und Ursachen zu reflektieren, verlagerte sich plötzlich alles in meinen Bauch, und ich habe nur Haß und Verachtung für diesen einen Menschen empfunden.

Erst die reißerische Aufmachung der Titelseite der 'Bild‘ hat mich wachgerüttelt. Ich teile deshalb die Einschätzung von Gabriele Dietze, daß es sich um billige Volksverhetzung und verleumderischen Journalismus handelt.

Als „durchsichtig“ kann ich den Beitrag aufgrund meiner eigenen Reaktion nicht bezeichnen. Denn: das Entscheidende war ja, daß der Bericht über den Satanskult durchaus sehr ernst und das Umkippen vom Kopf in den Bauch eben nicht durchsichtig war. Das ist es gerade, was ich der TTT -Redaktion vorwerfe.

Was zurückblieb, war ein Feindbild gegen eine Person. Im Prinzip ist das nichts anderes als das, was kritisiert werden sollte: einfache Lösungen für komplizierte Zusammenhänge.

Trotz dieser Reflexion bleibt Bitterkeit zurück, denn ich kann diese Szene nicht wie Gabriele als „Happening“ und „Enttabuisierungsexze:“ begreifen. Die Szene ist, auch wenn alle Beteiligten einverstanden waren, frauenfeindlich! Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Um Gewalt gegen Frauen anzuklagen, kann es sinnvoll und notwendig sein, diese Gewalt auch darzustellen, aber nicht so! Happening heißt ja, daß etwas Spaß macht. Mit Spaß aber hat dieses Thema nichts zu tun.

Die Szene paßt in die Doppelbödigkeit der „sexuellen Revolution“ der Sechziger. Die Abkehr von der bürgerlich -spießigen Moral hatte neue Formen des Machismo zur Folge.

Ursula Zwergel, Gelnhausen

betr.: dito und Leserbriefe dazu, taz vom 22.3.89

Da sind sie wieder, die linken Moralisten. Nasenlos, wie sie zu sein scheinen, wissen sie nichts anderes mit ihrem Zeigefinger anzufangen, als auf andere Menschen zu zeigen (in diesem Fall auf Nitsch und Frau Dietze).

Die Schweinerei ging doch eindeutig von TTT aus, wenn zum Beispiel 1. die Problematik des Satanismus als Diffamierung von Nitsch „ausgeschlachtet“ wird und so mit allen Mitteln versucht wird, die autonome Entscheidung der Frankfurter Städelschule (mit zehn gegen zwei Stimmen für Nitsch‘ Professur) zu torpedieren. Und 2. eine nichtautorisierte Filmszene im Rohschnitt zeigt, die 1970 (!) für eine Dokumentation gedacht war und hier in bester 'Bild'-Manier als Schockmittel eingesetzt wurde. Kurz vor der Sendung hat ein TTT-Team ein Interview mit Nitsch produziert, wo jedoch schon klar gemacht wurde, daß dieser Beitrag wohl nicht gesendet wird. Auch die Tatsache, daß die Autoren des ausgestrahlten Beitrags mit „Aussageverbot“ vom Sender belegt wurden.

Die Art und Weise, wie hier gegen die Entscheidung der Städelschule und gegen den Künstler agiert wird, ist unseriös und volksverhetzend. Ich bin froh, daß Frau Dietze diesen im Ansatz richtigen Artikel geschrieben hat, und sie soll sich bloß nicht von derartigen Reaktionen verunsichern lassen. (...)

Als Buchhinweis wäre noch zu nennen: Das rote Tuch - Der Mensch, das unappetitliche Vieh. Hermann Nitsch und das Orgien-Mysterien-Theater im Spiegel der Presse 1960- 1988. Edition Freibord, Wien, 475 Seiten, 50 Mark

J.Knoblauch Verlag /Edition Kalter Schweiss, Berlin

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