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„Verliebt sein heißt begehren“

■ Ein 31jähriger Pole steht wegen Totschlags vor Gericht / Er soll einen 79jährigen Rentner aus Eifersucht erschlagen haben

Der 79jährige Rentner Alfons G., der im vergangenen Oktober in seiner Wohnung mit einem Kerzenleuchter erschlagen worden war und dessen Tod seit gestern eine Moabiter Strafkammer beschäftigt, galt in jeglicher Hinsicht als aufgeschlossener Mann. Der ehemalige Finanzberater, der in der sechsten Etage des 15stöckigen Hochhauses in der Kreuzberger Franz-Künstler -Straße ein Zweizimmerappartment bewohnte, hatte unter seinen 119 Mitmietern den Ruf, „sehr sozial“ zu sein. Dem 59jährigen Hauswart Wolfgang Sch. und dem 68jährigen Rentner Fritz Sch. brachte er von seinen morgendlichen Spaziergängen zum Zeitungskiosk regelmäßig die BZ mit. In der letzten Zeit war er ein bißchen vergeßlich, aber das störte weiter nicht. „Er war ein fürsorglicher Typ, der eine Aufgabe brauchte“, bestätigte auch die 64jährige Rentnerin Anna H. gestern vor Gericht. Die Beobachtung des Hauswarts, daß Alfons G. „Frauen gegenüber ein bißchen komisch war und mit manchen nicht im Aufzug fahren wollte“, konnte Anna H. jedoch nicht bestätigen. Auch nicht, daß er angesichts bestimmter Frauen im Lift die Angewohnheit hatte, beim Druck auf den Knopf seines Stockwerks von der „sexten Etage“ zu reden. Daß Alfons G. „einen Faibel für Polen“ hatte, fließend polnisch sprach und die 37jährige Polin Eva L. aus der achten Etage umsorgte, war Anna H. jedoch bestens bekannt. „Er hat Eva L. im Lift kennengelernt und wollte sie in geordnete Verhältnisse bringen“, erzählte die Zeugin. So habe er die Büglerin, die die Dämpfe in der Wäscherei nicht vertrug, zum Amtsarzt begleitet und ihr geholfen, eine Umschulung zu bekommen. Alfons G. habe die junge Frau „sehr sympathisch“ gefunden, aber verliebt sei er in sie nicht gewesen, sagte die Rentnerin und und zitierte wie zum Beweis einen Ausspruch des 79jährigen: „Verliebt sein heißt begehren“. Alfons G. sei auch bestimmt nicht aus Eifersucht dagegen gewesen, daß Eva L. im Oktober 87 mit dem 31jährigen Polen Tadeusz L. die Ehe schloß, sondern weil er gegen diesen Mann „etwas hatte“.

Tadeusz L. steht seit gestern wegen Totschlags vor Gerichts. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Alfons G. nach einem Streit und Kampf in dessen Wohung aus Eifersucht getötet und zur Verdeckung der Tat ein Feuer gelegt zu haben. Tadeusz L. bestritt die Tat nicht, sagte aber, daß er sich aufgrund eines ausgiebigen Wodkakonsums an kaum etwas erinnern zu könne. Er habe aber keinesfalls aus Eifersucht so gehandelt, denn eifersüchtig auf Alfons G. sei er nie gewesen. „Er hat meine Frau beleidigt und gesagt, sie geht mit jedem ins Bett“, sagte der Angeklagte als Grund.

Eva L. hatte bei ihrer polizeilichen Vernehmung noch von zahlreichen Annäherungsversuchen des Renters berichtet. Doch daß er ihr gegenüber mit seiner Potenz geprahlt, ihr Aktfotos mit der Bemerkung „es juckt mich“ gezeigt, ihre Figur in den höchsten Tönen gelobt und sich „eine schöne Stunde“ mit Eva L. als Geschenk erbeten habe, davon wollte die Zeugin gestern nichts mehr wissen. Nein, eifersüchtig sei ihr Mann auf Alfons G. nie gewesen, und auch geschlagen habe sie ihr Ehemann nie, dementierte sie entsprechende frühere Aussagen: „Das mit dem Riemen, das war gar nicht der Rede wert, und die Verletzung an der Nase, da hat mich der Hund gebissen“. Der Prozeß wird Donnerstag fortgesetzt.

plu

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