: Der Bezugsrahmen ist die Differenz
Grazia Campari und Lia Cigarini gehören beide zur Gruppe um den Mailänder Frauenbuchladen und ihre Zeitschrift 'Sottosoppra‘. Kürzlich erschien auch hier ihr in Italien vieldiskutiertes Buch Wie weibliche Freiheit entsteht. (Vgl. taz vom 23.1.89). Darin interpretieren die Autorinnen (ein Kollektiv von 35 Frauen) die Geschichte der italienischen Frauenbewegung - unter dem theoretischen Leitgedanken der „sexuellen Differenz“. Darunter verstehen die Mailänderinnen nicht nur die Dualität der Geschlechter. Die Andersartigkeit von Frauen - so ihre zentrale These findet in der Gesellschaft zu keinem Ausdruck, Frauen verfügen über keine Symbole, denen gesellschaftlicher Wert zuerkannt wird. Wollen sie in der Gesellschaft bestehen, müssen sie ihr Geschlecht „verleugnen“. Deshalb rücken die Autorinnen die Beziehungen zwischen Frauen in den Mittelpunkt der politischen Praxis: Nur, indem Frauen einander in ihrer Unterschiedlichkeit anerkennen - und in ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, Kompetenzen, Autoritäten -, können sie eigene Maßstäbe entwickeln und dem weiblichen Geschlecht zu gesellschaftlichem Wert verhelfen.
In der italienischen Fassung heißt das Buch der Mailänderinnen Glaube nicht, Du habest Rechte. Damit ist sehr deutlich die Skepsis gegenüber einer klassischen Emanzipationspolitik benannt, die sich in einer Gleichstellung der Geschlechter erschöpft. Ihre Einwände bewegen sich dabei auf zwei Ebenen: Gesetze, die Frauen mit Männern gleichstellen (zum Beispiel in der Erwerbsarbeit) negieren die Besonderheiten weiblicher Erfahrungen, Wünsche, Interessen. Zweitens, und das ist für sie der gewichtigere Einwand, reduzieren Gesetze zum Schutz der Frauen (Sexualstrafrecht) Frauen auf den Nenner des größten gemeinsamen Elends - den des Opfers. Diese Politik kann Frauen nur als homogene unterdrückte Gruppe sehen, während es den Mailänderinnen gerade auf die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe ankommt und die Weiterentwicklung bereits gelebter Autonomie und Freiheit. In den Debatten um Legalisierung der Abtreibung und Reform des Sexualstrafrechts nahmen die Mailänderinnen so eine sehr kritische Position ein: Fragwürdig erschien ihnen, daß Frauen sich vom Staat und seinen Institutionen - die ja keineswegs geschlechtsneutral sind - eine Umsetzung ihrer Interessen erhoffen.
Da sie aber in ihrer politischen Praxis keinen Separatismus anstreben (im Sinne eines Freiraums ohne gesellschaftliche Folgen) und die Ebene des Symbolischen verändern wollen, stellt die Rechtsordnung eine besondere Herausforderung für das „Differenzdenken“ dar.
Natürlich trifft die Absage, auf dem Weg von Gesetzesreformen Frauenpolitik zu machen, gerade hierzulande auf Widerspruch. So schreibt die Politikwissenschaftlerin Claudia Bernadoni in ihrem sonst sehr wohlwollenden Vorwort: „Anders als die Mailänderinnen schätze ich allerdings heute die Möglichkeiten von Gleichstellungspolitik ein. Daß die Gleichheit vor dem Gesetz per definitionem jede Andersartigkeit unberücksichtigt lassen muß, leuchtet ein. Aber gerade die gesetzliche Garantie gleicher Behandlung der unterschiedlichen Menschen, Gruppen und Minderheiten soll Unterscheidungen verhindern, die nichts anderes als pure Gewalt der einen über die anderen sind, und das Fundament abgeben für Unterscheidungen, die die freie Entfaltung von Gruppen und Individuen zum Inhalt haben“.
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