: Walesa: Polen sollen mehr arbeiten
■ Der Arbeitervertreter spricht von „politischen Sieg“ / Warnung, die neuen Chancen nicht zu nutzen / Solidarnosc rechnet mit sieben Millionen Mitgliedern / Schweigen in der Sowjet-Presse
Warschau (ap) - Der polnische Arbeiterführer Lech Walesa hat die Polen am Donnerstag aufgerufen, mehr und besser zu arbeiten und fähige Vertreter in die Politik zu entsenden. Andernfalls würden von dem Abkommen mit der Regierung nur „schöne Schlagworte“ übrigbleiben. Die nächste Aufgabe der Soldarnosc sei es, sich in den Betrieben zu organisieren. Das Parlament will am Freitag die notwendigen Gesetzesänderungen verabschieden. Zu den entscheidenden Punkten gehören die Wiederzulassung der Soldarnosc, Lohnerhöhungen im Gleichschritt mit der Inflation und die freie Wahl eines Teils des Parlaments im Juni.
Walesa sagte auf einer Pressekonferenz in Warschau, der am Vortag unterzeichnete Vertrag zwischen Regierung und Opposition sei ein „politischer Sieg“ für Polen. Aber wenn die sich daraus ergebenden Chancen nicht genutzt würden, könne dies zu einer Katastrophe führen. Er selbst wolle unverzüglich an seinen Arbeitsplatz nach Danzig fahren, sagte Walesa. Die Soldarnosc müsse bei Bürgermeistern und den Regionalbehörden Anträge stellen, um „so schnell wie möglich die technischen Möglichkeiten zur Organisation“ zu erhalten. Er rechne mit fünf bis sieben Millionen Solidarnosc-Mitgliedern. Am liebsten sähe er drei miteinander konkurrierende Arbeitervertretungen im Land, sagte Walesa. Der Gewerkschaftsberater Tadeusz Mazowiecki sagte, die Soldarnosc könne in zwei Wochen registriert sein.
Die sowjetischen Medien berichteten am Donnerstag nur unvollständig über das Abkommen von Warschau. 'Tass‘ meldete, die Gespräche am runden Tisch seien beendet worden, verschwieg aber die Ergebnisse. Der englischsprachige Dienst von „Radio Moskau“ berichtete, die Gesprächsteilnehmer hätten die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften sowie die Schaffung eines Zweikammerparlaments und eines Präsidentenamts vereinbart, nannte aber keine Einzelheiten. Bisher haben sowjetischen Medien zwar mit Verspätung, aber ausführlich über Reformen in anderen osteuropäischen Ländern berichtet.
Die EG-Kommission begrüßte das Abkommen. Ein Sprecher teilte mit, durch engere Wirtschaftsbeziehungen die Bindungen zwischen der EG und Polen zu stärken. Siehe auch Kommentar S.4
und weiterer Bericht S.9
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