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Zwischen Ratlosigkeit und Hoffnung

■ Streit um Rolle der Ärzte bei der Podiumsdiskussion zum RAF-Hungerstreik / Über 1.000 kamen am Donnerstag abend zur Solidaritätsveranstaltung ins Audimax der Technischen Universität / Heute um 11Uhr Demonstration am Sophie-Charlotte-Platz

Wenn Hilflosigkeit, Wut und tiefe Sorge zu groß werden, dann suchen sie sich ein Ventil. So war es auch am Donnerstag abend im Audimax der TU. Die zunehmende Aussichtslosigkeit, festgefügte Fronten im Hungerstreik der Gefangenen der RAF und anderer militanter Gruppen doch noch rechtzeitig in Bewegung zu bringen, beherrschte die über tausend TeilnehmerInnen der vom TU-Asta getragenen Solidaritätsveranstaltung.

Als Druckentlastung für die aufgestauten Emotionen mußte Dr.Helmut Becker herhalten, Internist und Mitglied der Berliner Ärztekammer, und ein Thema, das am 65.Tag eines Hungerstreiks „vernünftig“ eigentlich nicht mehr diskutiert werden kann: ob ein Arzt mit intensiv-medizinischen Mitteln in den Sterbeprozeß eines Hungerstreikenden eingreifen darf oder muß, nachdem der Betroffene ins Koma gefallen ist. Die Diskussion hat eine Geschichte, und Becker, der beim Hungerstreik von 1981 den Gefangenen Andreas Vogel betreut hatte, ist ein Teil von ihr.

Wie alle im Audimax fordert der Mediziner an diesem Abend vehement die Zusammenlegung der Gefangenen in „größeren, interaktionsfähigen Gruppen“. Sie sei auch aus medizinischer Sicht geboten. Doch als Arzt ist Becker damit nicht aus dem Schneider. Die unnachgiebige Haltung der politischen Hardliner auf seiten des Staates treibt die Mediziner bei jedem Hungerstreik unausweichlich in den Konflikt zwischen ärztlicher Ethik und staatlicher Instrumentalisierung.

Für Helga Prauss, Mutter des kürzlich zu neun Jahren Haft verurteilten Erik Prauss ist der Fall klar: „Wenn der Staat sich darauf verlassen kann, daß die ärztliche Ethik beginnt, wenn das Koma kommt“, bedeute das objektiv eine Schwächung der Gefangenen im Hungerstreik. Die Ärzte müßten „Nein“ sagen zur Koma-Lösung und damit dem Staat diesen Ausweg aus der Verantwortung verbauen. Becker lehnt dies kategorisch ab. „Wenn jemand bewußtlos ist, muß ich Erste Hilfe leisten. Das werde ich auch tun, das ist unter den Ärzten unumstritten“.

Als qualitativen Fortschritt wertet der Mediziner die Abschaffung der Zwangsernährung der Gefangenen nach dem Hungerstreik von 1981. Dies sei damals eine gemeinsame Forderung der Gefangenen und der Berliner Ärztekammer gewesen. „Erste Hilfe mit dem hohen Risiko, daß dabei jemand stirbt“, sei grundsätzlich zu unterscheiden von der Zwangsernährung. Diese war während der Hungerstreiks in den siebziger Jahren bei vollem Bewußtsein der Gefangenen über Monate hinweg angewandt worden. Bei der „Ersten Hilfe“ im Koma, wirbt Becker beharrlich für seine Position, sei das anders: „Das Risiko, daß jemand stirbt, ist zu groß. Es gibt für den Staat keine Verschnaufpause mehr.“ Es nützt alles nichts. „Zynismus“ und „Lügner„-Zurufe läßt Becker scheinbar stoisch über sich ergehen. Erst nach der Aufforderung, er solle endlich mit seiner „abendländischen Ethik“ aufhören, verliert er für einen Moment die Fassung: „Willst Du lieber die islamische Ethik!“ - Der Saal tobt.

Renate Künast, Mitglied des Abgeordnetenhauses und Vertreterin der AL auf dem Podium, konnte froh sein, daß Becker noch nach ihr sprach. Schon bei ihrem Auftritt drohte die Stimmung im Publikum mehrfach zu kippen.

Applaus und wütende Zwischenrufe - „Staatsschutzgesülze!“ halten sich die Waage. Die einen honorieren offenbar, daß die AL, wie Frau Künast sagt, immerhin den Regierenden Bürgermeister „angeschoben“ hat. Die anderen haben den Alternativen den Wechsel an die Macht noch nicht verziehen. Als „Ansatzpunkt für politische Aktivitäten der nächsten Tage“ nennt sie nach dem Scheitern des Schmude/Süssmuth -Vorschlags den Versuch, eine kleine Lösung gemeinsam mit einzelnen anderen Ländern hinzukriegen.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Helga Prauss - grauhaarig und irgendwie fremd vor einem überwiegend sehr jungen Publikum - wahrscheinlich zum x-ten Mal die Haftbedingungen der Gefangenen am Beispiel ihres in Stammheim einsitzenden Sohnes beschrieben. Was von offizieller Seite an Kontaktmöglichkeiten drinnen und nach draußen verlautbart und von der Presse in „unfaßbarer Weise“ weitergegeben werde, sagt Frau Prauss, könne das direkte Gespräch, den menschlichen Kontakt nicht ersetzen. Es ist ein schlichter Satz, über die Zelle ihres Sohnes, der hängenbleibt: „Rico hört eben nur sich selbst.“

Zwiespältig bleibt der Eindruck nach dem Auftritt von Monika Berberich, die nach 17 Jahren Knast erst im vergangenen Jahr aus der Haft entlassen worden war. Noch am Dienstag dieser Woche hatte die versammelte Bonner Journaille ihre Äußerungen während einer Pressekonferenz in der Bundeshauptstadt als Festhalten an den Zielen und Mitteln der RAF interpretiert. Völlig unvermittelt stehen bei ihr harte Durchhalteparolen und zweifelhafte Erfolgsmeldungen auf der einen und die wirkliche Sorge um die Gefangenen auf der anderen Seite einander gegenüber. O -Ton Berberich: „Objektiv haben sich die Gefangenen als politischer Faktor als Kollektiv durchgesetzt.“ An ihm komme niemand in der Bundesrepublik mehr vorbei. Die Kalkulation, die Gefangenen einfach in die Trakte abschieben zu können, sei gescheitert. Und: „Der Staat ist mit seinen Möglichkeiten am Ende.“

Auf der anderen Seite fürchtet Monika Berberich, wie alle anderen, daß sich im Staatsapparat einmal mehr „die harte Linie durchgesetzt“ hat. Walter Momper zählt da ausdrücklich nicht dazu. Er habe im Zusammenhang mit seinem inzwischen gescheiterten Vermittlungsvorschlag zunächst angekündigt, Gefangene in Berlin aufnehmen zu wollen, um dann aber gleich wieder unter Hinweis auf die harte Haltung anderer Länder in Deckung zu gehen. Die Kritik an dem neuen Regierenden bleibt dennoch verhalten. Man könne noch nicht sagen, „was bei Momper dahintersteckt“.

Ähnlich vorsichtig die Analyse von Anke Brenneke-Eggers, die trotz aller Lähmung die Hoffnung auf „Erlösung für die Gefangenen“ nicht aufgeben will. Die Hamburger Anwältin vertritt Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller. „Nicht alles, was in der Vergangenheit vorgeschlagen wurde, war nur Ablenkung“, sagt sie und meint offenbar ebenfalls zuerst Walter Mompers Initiative. Ihm hält sie allerdings vor, ausgerechnet Jürgen Schmude als Vermittler vorgeschlagen zu haben. Der habe beim Hungerstreik 1981 als Bundesjustizminister eine unrühmliche Rolle gespielt, als Zusagen an die Gefangenen nach Abbruch des Hungerstreiks nicht eingehalten worden seien.

Auch bei Anke Brenneke-Eggers ist ein Bemühen nicht zu übersehen: in der zugespitzten Situation, nicht unnötig Porzellan zu zertreten. Den Ernst der Stunde haben alle auf dem Podium erkannt.

Gerd Rosenkranz

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