: Die Waldmeister im Zweierpack
Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner putzten die Tischtenniselite von der Platte und wurden Doppel-Weltmeister ■ Aus Dortmund Petra Höfer
Manche werden beim Siegen etwas alberig. „Waldmeister oder Weltmeister?“ fragte Steffen Fetzner sich, Jörg Roßkopf und die Sportstudio-Zuschauer. „Ich glaub‘, wir sind Weltmeister“, befand sein als besonnen geltender Doppelpartner.
Rossi hatte recht. Eine Wohngemeinschaft aus dem Düsseldorfer Vorort Gerresheim war Doppel-König des Pingpong, die ersten Weltmeister der Bundesrepublik Weltmeister im Zweierpack. Und die Menschen, die Menschen auf ihren Klappsitzen in der Dortmunder Westfalenhalle juchzten und jauchzten und standen auf den Stühlen und schwitzten vor lauter Glück. Über Pingpong. Ein Coming-out der Zelluloidballkünstler; ein legendäres Hallenpublikum darf endlich so, wie's sein Ruf verlangt: Es explodiert.
Oben auf dem Siegertreppchen schließlich hatte selbst der spröde Hesse Rossi noch ganz rührende Flausen im Kopf und dem Speedy den soeben überreichten „Iran-Cup“ hoch über die gereckten Ärmchen gehalten. Ein Weltmeister hupfte nach seinem Pokal. „Ich bin nicht besonders groß“, erklärte Fetzner anschließend das Offensichtliche. „Wenn der Kalinic auf dem Podest unter mir steht, ist der immer noch größer als ich.“
Kalinic aber stand maßgebliche Zentimeter tiefer. „Ich weiß nicht wie viele“, so die kleinere WG-Hälfte aus Düsseldorf, die die Bälle vorbereitet, damit die andere die Punkte macht. „Im Spiel waren das zwei Bälle.“ Mit denen hatte man Zoran Kalinic und Leszek Kucharski letztendlich 18:21, 21:17 und 21:19 im Samstagnacht-Finale geschlagen, war dem neugegründeten jugoslawisch-polnischen Doppel damit um zwei Goldmedaillen, einen Iran-Pokal und noch zwei Silberpötte, deren Namen ich vergessen habe, voraus. Ekstase, sagt Speedy, Rausch. „Ich weiß nicht mal mehr, wer den letzten Punkt gemacht hat.“ Die fröhliche Meute im magischen Riesenrund der Halle hatte geklatscht, getobt, sich einen Pingpong-Krimi inszeniert - mit Happy-End. Kalinic wußte es vorher: „Wir haben eine ganze Halle gegen uns.“
Ebenso war es schließlich im Halbfinale am frühen Samstag nachmittag dem chinesischen Doppel Chen/Wei ergangen. „Die Atmosphäre war tödlich für uns“, so Trainer Majing Bao. Chen/Wei erklommen nach dem 21:11, 12:21, 17:21 bloß noch das niedrigste Treppchen.
Oben, ganz oben dagegen haben sie nach dem großen Spiel die Hostessen geküßt und - „Jetzt kommt das Schönste“, sagt Fetzner zur TV-Aufzeichnung - zusammen gesungen. Rossi, Speedy und pathetische Klänge zu Schwarz-Rot-Gold. Der erste Weltmeister. Na und? Aber auf der ganzen Pressetribüne gab es niemanden mehr, der auf den Bildschirmen der TV -Kommentatoren im Euro-Sport-Programm noch irgendwelche Fußballspiele verfolgt hätte. Statt „schönes Tor“ heißt es kollektiv gerührt: „Schönes Bild.“ Kirchgänger Rossi und sein bester Freund drehen winke-winke Arm in Arm die Runde fürs Jubelvolk. Das gibt es selten im Tischtennis. Sonst guckt ja nie einer.
Ab heute aber werden Roßkopf und Fetzner ihre Unterschriften unter Verträge setzen, die die jeweils andere Seite teuer zu stehen kommt. Cheftrainer Roesch sitzt in aller Gewißheit, „den historischen Augenblick“ (Hallenmoderator Wontorra) noch im Amt miterlebt zu haben, seine Pension in Vichy ab. Der Deutsche Tischtennis Bund (DTTB) erlebt einen prima Andrang von Sponsoren. Und Vizeweltmeister Eberhard Schöler wird sich mit Präsident Gäb eins ins Fäustchen lachen. Das hätte gerade noch geklappt. Sah gar nicht gut aus fürs deutsche Pingpong. Roßkopf/Fetzner waren die letzten Mohikaner des DTTB in den Hauptrunden des Turniers.
Die neuen Ritter des grünen Tisches aber finden erstmal „nichts Schöneres, als hier zu sitzen und Weltmeister zu sein“. Diese Tischtennisspieler sind wirklich ausgekochte Typen. Asiatische Schule. Man hat die Ruhe weg. Das rein chinesische Damen-Doppel-Finale am Samstag abend hatte vor 10.500 wartenden Zuschauern schließlich auch nur deshalb mit Verspätung begonnen, weil Finalistin Chen Jing „unbedingt etwas Warmes essen mußte“.
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