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Drei Generationen für Abtreibungsfreiheit

500.000 DemonstrantInnen gegen drohende Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung in den USA / Präsident Bushs Ankündigung, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs rückgängig zu machen, rief die Betroffenen auf die Straße  ■  Aus Washington Silvia Sanides

Seit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg haben sich in Washington nicht so viele Menschen zu einer Protestkundgebung versammelt wie am vergangenen Sonntag. Auf rund 500.000 schätzten die Veranstalter die Zahl der Protestierenden, die aus allen Ecken der USA in die Hauptstadt strömten, um für die Beibehaltung der Abtreibungsfreiheit zu demonstrieren. Besonders beachtet wurde die Teilnahme von PolitikerInnen und Hollywood -Prominenz wie Jane Fonda, Mariel Hemmingway und Susan Sarandon. Mehr als sonst auf politischen Veranstaltungen schienen diesmal alle Bevölkerungsschichten vertreten zu sein. Schwarz mischte sich mit Weiß, Jung mit Alt, Langbehaarte im Batik-Look mit adrett Frisierten im grauen Kostüm. Mehrere Teilnehmerinnen waren ganz in weißer Kleidung erschienen, der Farbe der Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht gestritten hatten. Weniger als bei sonstigen Demonstrationen fielen allerdings große Banner und Fahnen auf, die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen signalisieren. Dessen bedurfte es nicht, denn die meisten Protestierenden kamen aus ganz persönlichem Grund, sie fühlten sich direkt oder indirekt betroffen. Familien waren zuweilen in drei Generationen vertreten. Großmütter erinnerten an die Schrecken der illegalen Abtreibungen in der Zeit vor der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Mütter forderten für sich und ihre Töchter die Freiheit, weiterhin über eine Schwangerschaft selbst entscheiden zu können, und die Jüngsten erklärten mit Stolz, daß sie die Wunschkinder ihrer Eltern seien.

Sechzehn Jahre ist es her, seit das amerikanische Oberste Bundesgericht zugunsten der Abtreibungsfreiheit entschieden hat. Im berühmt gewordenen Fall „Roe gegen Wade“ von 1973 bestimmten die Richter, daß US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche im ersten Drittel gar nicht regulieren dürfen und im zweiten Drittel nur zugunsten der Gesundheit der Schwangeren eingreifen können.

Die jüngeren Frauen auf der Protestkundgebung gaben zu: „Wir haben das Recht auf Abtreibungsfreiheit von unseren Vorkämpferinnen in den Schoß gelegt bekommen. Wir sind zu gleichgültig geworden.“ Für viele der Anwesenden war dies die erste Demonstration, an der sie teilnahmen. Wachgerüttelt hat sie der neue Herr im Weißen Haus und ein in den letzten Jahren sich immer stärker abzeichnender Trend, die Abtreibungsfreiheit in Frage zu stellen. Präsident Bush wie sein Vorgänger Reagan sind erklärte Gegner der Abtreibungsfreiheit. Beide kamen mit dem Versprechen, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs rückgängig zu machen, und den Stimmen der an politischem Profil gewinnenden Abtreibungsgegner ins Weiße Haus.

Präsident Reagan ließ seinen Worten Taten folgen: Er berief mit Sandra O'Connor die erste Frau und damit, wie sich seither herausgestellt hat, eine entschiedene Abtreibungsgegnerin zum Obersten Bundesgericht. Zwei weitere konservative Richter, die von Reagan ernannt wurden, haben bisher noch keine Entscheidung zu Abtreibungsfragen gefällt. Wo sie in der Frage stehen, wird sich im Laufe der nächsten Monate zeigen. Ende April nämlich wird das Gericht einen Fall hören, in dem es um den Versuch des Bundesstaates Missouri geht, die Abtreibungsfreiheit einzuschränken. Seit 1973 sind zahlreiche Versuche dieser Art - Abtreibungen nur noch in Krankenhäusern durchführen zu lassen, die Genehmigung des Vaters oder bei Minderjährigen das Einverständnis der Eltern zu fordern, eine Bedenkzeit aufzuerlegen - an dem Einspruch des Obersten Gerichts gescheitert.

„Nun aber haben sich die Mehrheitsverhältnisse verschoben“, so Eve Paul von der Organisation „Planned Parenthood“, „und keiner weiß, wie das Gericht entscheiden wird.“ Fällt die für den Juni erwartete Entscheidung zugunsten des Staates Missouri aus, dann kommt ein Stein ins Rollen, auch wenn das Gericht die Entscheidung „Roe versus Wade“ nicht umkehrt. Dann können zahlreiche Bundesstaaten künftig die Abtreibungsgesetze verschärfen. B.J. Isaacson-Jones, Leiterin der Klinik, die den Fall gegen den Staat Missouri anstrengt, dazu: „Am meisten besorgt bin ich um die armen Frauen.“ Die nämlich werden wie einst nur noch den Engelmacher als Ausweg sehen, während ihre wohlhabenderen Schwestern in Bundesstaaten mit großzügigeren Abtreibungsgesetzen reisen.

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