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Opposition zur Moderne

■ Art deco in Europa - Eine Ausstellung in Brüssel

Zum ersten Mal seit der Ausstellung Dekorative Künste in Paris 1925 ist nun im Palais des Beaux-Arts ein repräsentatives Panorama der Stilrichtung Art deco zu sehen. Aus europäischem Blickwinkel konzipiert zeigt die Ausstellung Werke aus zwölf Ländern - Frankreich, Belgien, Großbritannien, Niederlande, BRD und DDR, Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Schweden, Dänemark und Italien. Der Großteil dieser Objekte wurde bisher noch gar nicht oder nicht außerhalb der eigenen Landesgrenzen gezeigt; so wurde jetzt eine umfassende Gegenüberstellung von etwa 300 Objekten möglich, die die Parallelen und Unterschiede zwischen den Ländern sichtbar werden läßt.

Der Ausstellungsorganisator Marc Lambrechts hat hierbei auch nach einer neuen Definition der Art deco gesucht, die die Abgrenzung von Jugendstil und Modernismus ermöglicht, ohne jedoch die Tatsache außer Acht zu lassen, daß es eine Vielfalt von Formen und Mischformen gab in der Zeit zwischen 1912 und 1935; jedes nichtavantgardistische Objekt ist also nicht gleich der Art deco zuzuordnen. Der Annahme folgend, daß der Begriff Art deco vorrangig für die Geschichte des Kunstgewerbes zutrifft, hat man sich folgerichtig in Brüssel auf kunstgewerbliche Objekte beschränkt und die Malerei ausgeklammert. Es gibt natürlich auch Art-deco-Malerei; jedoch bleibt sie eher Domäne der Moderne. Auf die Bildhauerei hingegen geht die Ausstellung wohl ein, da sie häufig die Prinzipien des Kunstgewerbes in sich vereinigt. Es sind also nur Objekte aus Keramik, Glas, Porzellan, Edelmetall sowie Textilien, Möbel, Goldschmiedearbeiten oder Poster zu sehen.

Ganz deutlich tritt der wesentliche Unterschied zwischen Art deco auf der einen und modernistischen und avantgardistischen Tendenzen auf der anderen Seite zutage. Ein Möbelstück von Le Corbusier beispielsweise hat einen grundsätzlich anderen Charakter als eines von Jacques Emile Ruhlmann, dem Meister der Art deco. Das eine ist ein schlichtes Gebrauchsmöbel, das andere ein repräsentatives Objekt, bei dem das dekorative und Handwerkliche im Vordergrund stehen. Mit ihren teuren Einzelstücken bezogen sich die Art deco Künstler auf Traditionen, auf historische und exotische Stilrichtungen.

Die Ausstellung beginnt mit einer Einführung über die Verbindungen der Art deco zum Jugendstil, über die Vorliebe für Exotisches und die ersten Werke um 1912. Darauf folgt die Veranschaulichung der zeitgenössischen Strömung des Neo -Rokoko, der in dieser Zeit als moderne Variante des 18.Jahrhunderts in Deutschland sehr beliebt war. Der Expressionismus und andere Interpretationen der barocken und Rokoko-Formen bilden den ersten großen Teil der Ausstellung, der mit dem expressionistischen Dekorativismus der Amsterdamer Schule schließt. Die Zusammenstellung neoklassizistischer Möbel und Objekte, vor allem romanischen und skandinavischen Ursprungs bildet eine weitere wichtige Gruppe. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Raum mit vorwiegend französischen Exponaten. Der vierte Teil der Ausstellung veranschaulicht den Einfluß und die Annäherung verschiedener modernistischer Strömungen sowie den folkloristischen Einfluß. Die letzten Räume zeigen Objekte an der Grenze der Art deco; die formalen Einflüsse modernistischer Tendenzen wie die des Futurismus, des Kubismus oder Konstruktivismus werden hier hervorgehoben.

Die hauptsächliche Entwicklung der Art deco hat sich aus der Sicht Marc Lambrechts in Österreich und Frankreich vollzogen. In Österreich ist sie bestimmt von der Reaktion auf die Sezession, auf Adolf Loos und seiner Forderung nach der Abwesenheit des Ornaments. Sie greift zurück auf Biedermeier und Rokoko, wenngleich der Jugendstil oder die Wiener Werkstätten selbst in gewissem Maße vom Biedermeier beeinflußt wurden. In Frankreich liegen die Dinge etwas anders, da der Jugendstil hier schon eine stark historische und dekorative Tendenz hatte und die Art deco sich somit mehr anschloß als absetzte. Ihrem Charakter nach ist sie weniger Ausdruck des Zeitgeistes als einer bestimmten Mentalität. Trotz ihrer weiten Verbreitung ist Art deco niemals ein internationaler Stil und in allen ihren Formen immer als eine Reaktion des Großbürgertums auf die Modernität zu verstehen.

Daß Art deco gerade jetzt auf großes, auch wissenschaftliches Interesse stößt, scheint keineswegs zufällig. Auch wenn man Art deco nicht als Vorgänger des Postmodernismus begreifen will, kann man in beiden Stilrichtungen eine starke Opposition zur Moderne feststellen sowie die Tendenz, neue Kompositionen durch Zitate und Bezüge auf vergangene Kunstepochen zu finden. Gemeinsam ist beiden das Interesse an der Oberfläche der Dinge wie auch die oft elitäre Verpflichtung zum Luxus.

Elisabeth Motz

Die Ausstellung ist bis zum 28.Mai im Palais des Beaux-Arts in Brüssel zu sehen. Zur Ausstellung ist ein von internationalen Spezialisten erarbeiteter Katalog erschienen.

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