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Tucholsky zitieren verboten

■ In Würzburg will der Staatsanwalt „keine geflügelten Worte im straffreien Raum“ / Plakate mit dem Titel „Soldaten sind Mörder“ wurden beschlagnahmt: Sie stören angeblich den öffentlichen Frieden

Berlin(taz) - Verwundert rieben sich gestern in Würzburg einige Grüne und Kriegsdienstverweigerer die Augen: Die Polizei sammelte plötzlich all die Stelltafeln mit den Plakaten ein, auf denen sie eine Lesung mit dem Schriftsteller Gerhard Zwerenz ankündigen wollten. Zwerenz wird aus seinem Buch über die Machenschaften der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg lesen. Der Titel des Werkes: Soldaten sind Mörder - Die Deutschen und der Krieg.

Die ersten drei Worte des Buchtitels prangten auf den Plakaten, mit denen die Grünen in Würzburg zusammen mit der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigung der Kriegsdienstgegner (DFG-VK) zu der Lesung einladen wollten. Hintergrund der Veranstaltung: Auch in Würzburg soll eine Gedenktafel für die von den Nazis ermordeten Deserteure angebracht werden. Sie soll direkt neben das Kriegerdenkmal kommen. Mit dieser Lesung wollten die Grünen und die DFG-VK die Debatte um eine solche Gedenktafel anzetteln. Doch bereits die Plakate haben dem Würzburger Oberstaatsanwalt Schauff überhaupt nicht gefallen. Als die Stadtverwaltung das Aufstellen der Plakate aus „verkehrstechnischer Sicht“ genehmigt hatte, wurde er von sich aus aktiv: Diese Aufschrift, die ein Drittel des gesamten Plakats einnehme und jedem Passanten ins Auge falle, sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, erklärte er gegenüber der taz. Außerdem erblickte Herr Schauff in diesen drei Worten eine „Verunglimpfung von Soldaten“ und einen Akt von „Volksverhetzung“ (§130 StGB). „Das sind keine geflügelten Worte, die sich im straffreien Raume bewegen“, meinte der Staatsanwalt. Er hatte jedoch hilfreich guten Rat zur Hand, wie die Beschlagnahme der Plakate hätte vermieden werden können: ein passender Klebestreifen über die drei inkriminierten Worte, und schon wäre die Rechtslage ganz anders, der öffentliche Friede in Würzburg gerettet und die Stelltafeln wieder verkehrstechnische Schmuckstücke im Stadtbild. Auf diese Selbstzensur ließen sich die Grünen und die DFG-VK natürlich nicht ein. „Daß Würzburg nicht das Zentrum der geistigen Diskussion ist, wußten wir, daß eine solche Enge herrscht, wußten wir nicht“, wundert sich einer der Veranstalter.

Der Buchtitel von Gerhard Zwerenz geht eigentlich auf ein Zitat von Kurt Tucholsky in der 'Weltbühne‘ zurück. Nicht nur in Würzburg, auch in anderen Städten geriet dieses Plakat schon zum öffentlichen Ärgernis der Staatsanwälte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Buchtitel selbst ist inzwischen immerhin eingestellt.

Ursel Sieber

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