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Atommafia flüchtet aus Wackersdorf

Energieversorgungsunternehmen wollen umstrittene Wiederaufbereitungsanlage aufgeben / Brennelemente sollen in Frankreich aufgearbeitet werden / Kohl stinksauer / Bayern will Verzicht nicht akzeptieren / Windelweiches Statement der DWK  ■  Von Kriener/Rosenkranz

Berlin (taz) - Der Bau des umstrittensten Industrie-Projekts der Bundesrepublik, die seit Jahren heftig umkämpfte atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, ist fraglicher denn je. Die bundesdeutsche Elektrizitätswirtschaft will die Anlage aufgeben und stattdessen ihre abgebrannten Brennelemente auch künftig in Frankreich wiederaufarbeiten lassen.

Dies erfuhr die Agentur 'AP‘ am Mittwoch zuverlässig aus Bonner Regierungskreisen. Bayerns Ministerpräsident Streibl wurde die frohe Botschaft bereits schriftlich durch VEBA -Chef Benningsen-Foerder übermittelt. Am Dienstag abend diskutierte Bundeskanzler Kohl die spektakuläre Absage mit CSU-Chef Theo Waigel. Offenbar ist Kohl über die Entscheidung der Energieversorger erheblich verärgert. Die Bundesregierung hatte sich in der Vergangenheit mehrfach von Kohl über Zimmermann bis Töpfer für die WAA stark gemacht und die Anlage als unverzichtbares Kernstück ihres sogenannten „integrierten Entsorgungskonzeptes“ verteidigt.

Über ein Ende für die WAA in Wackersdorf war aber schon wiederholt spekuliert worden. Von den Energieversorgern war vor allem der Stromgigant RWE in Essen auf Distanz gegangen, nachdem der ökonomische Nutzen des Projektes immer fraglicher geworden war. Mehrfach mußten die veranschlagten Baukosten um Milliardenbeträge nach oben korrigiert werden. Zuletzt war eine Bausumme von mehr als zehn Milliarden Mark im Gespräch. Bis heute wurden bereits rund drei Milliarden Mark verbaut.

Die DWK, Bauherr der Anlage in Wackersdorf, reagierte auf die brisante Meldung aus Bonn mit einem lauwarmen Erklärung:

„Die DWK ist informiert, daß zur Zeit verstärkte Verhandlungen über eine engere Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Wiederaufarbeitung verbrauchter Brennelemente zwischen der Veba AG und der Cogema geführt werden. Das Ergebnis und die daraus resultierende Bewertung sind noch nicht abgeschlossen. Die DWK hat von ihren Gesellschaftern (den Stromkonzernen - die Red) nach wie vor das Mandat, die WAA Wackersdorf zügig zu realisieren“.

Die Aufgabe der WAA Wackersdorf ist nach ap-Informationen Hauptergebnis der Verhandlungen zwischen Veba und Cogema. Die Veba ist Hauptaktionär der DWK.

Bayerns Umweltminister Alfred Dick sagte gestern, die Bundesregierung solle das neue Angebot aus Frankreich sorgfältig prüfen. Auf einen Verzicht der WAA und die Nutzung der Anlage als reines Zwischenlager werde sich Bayern „aber nicht einlassen“. Dann solle dort lieber gar nichts geschehen.

Irene Sturm, Sprecherin der Schwandorfer Bürgerinitiative wertete die Absage an das Projekt als „höchst erfreuliche“ Entscheidung: „Das ist genau das, wofür wir acht Jahre lang gekämpft haben.“ Angesichts des bereits fertiggestellten Eingangslagers befürchte man jedoch, daß „hier der gesamte Atommüll der Bundesrepublik gelagert werden soll“.

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